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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Ich will sie nicht.«
    Eine Gestalt trat aus dem Schatten.
    »Dann wirst du sterben«, sagte der Krumme Mann.
    Er wirkte stark gealtert, seit David ihn zuletzt gesehen hatte. Seine Haut war aufgeplatzt und verfärbt, Geschwüre und Blasen entstellten sein Gesicht und seine Hände, und er stank nach seiner eigenen Verderbtheit.
    »Wie ich sehe, warst du fleißig«, sagte der Krumme Mann. »Du hast deine Nase in Dinge gesteckt, die dich nichts angehen. Und du hast etwas gestohlen, das mir gehört. Wo ist sie?«
    »Sie gehört dir nicht«, sagte David. »Sie gehört niemandem.«
    David zog sein Schwert. Seine Hand zitterte ein wenig, doch man sah es kaum.
    Der Krumme Mann lachte nur. »Sei’s drum«, sagte er. »Die Zeit, in der sie mir von Nutzen war, ist ohnehin vorbei. Sei vorsichtig, dass es dir nicht genauso geht. Der Tod wird dich holen, und kein Schwert kann ihn zurückhalten. Du glaubst, du wärst mutig, aber warten wir doch mal ab, was aus deinem Mut wird, wenn dir heißer Wolfsatem ins Gesicht schlägt und spitze Zähne deine Kehle zerfleischen wollen. Dann wirst du weinen und jammern und nach mir rufen, und vielleicht werde ich antworten. Vielleicht…
    Nenn mir den Namen deines Bruders, und ich bewahre dich vor allem Schmerz. Ich verspreche dir, dass ich ihm nichts Böses tun werde. Das Land braucht einen König. Wenn du einwilligst, den Thron zu besteigen, werde ich deinen Bruder am Leben lassen, wenn ich ihn hierher hole. Ich werde mir einen anderen an seiner Stelle suchen, denn es sind noch Sandkörner in meinem Stundenglas. Ihr werdet zusammen hier leben, und ihr werdet gute und gerechte Herrscher sein. Ich gebe dir mein Wort darauf. Nenn mir nur seinen Namen.«
    Die Wachen hatten ihrerseits die Schwerter gezogen und auf David gerichtet, bereit, ihn zu töten, falls er versuchte, dem König etwas anzutun. Doch der König hob begütigend die Hand, und sie ließen die Schwerter sinken, beobachteten jedoch wachsam, was weiter geschah.
    »Wenn du mir seinen Namen nicht nennst, werde ich in deine Welt zurückkehren und den Kleinen in seinem Bett töten«, sagte der Krumme Mann. »Selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue, ich werde die Kissen und Laken mit seinem Blut tränken. Du hast die Wahl: Entweder ihr beide herrscht zusammen über dieses Land, oder ihr sterbt, jeder für sich allein. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
    David schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Ich werde nicht zulassen, dass du das tust.«
    »Nicht zulassen? Nicht zulassen?« Das Gesicht des Krummen Mannes verzerrte sich, als er die Worte hervorstieß. Seine Lippen rissen ein, und ein paar Blutstropfen rannen heraus.
    »Hör mir gut zu«, sagte er. »Ich werde dir die Wahrheit erzählen über die Welt, in die du so unbedingt zurückkehren willst. Sie ist ein Ort voller Schmerz und Leiden und Trauer. Als du sie verlassen hast, wurden Städte angegriffen. Frauen und Kinder wurden in Stücke gerissen oder bei lebendigem Leib verbrannt, und zwar von Flugzeugbomben, die von Männern abgeworfen wurden, die selbst Frauen und Kinder haben. Menschen wurden aus ihren Häusern gezerrt und auf der Straße erschossen. Deine Welt ist dabei, sich selbst zu zerstören, und das Amüsanteste dabei ist, dass es vor Ausbruch des Krieges nicht viel besser war. Der Krieg gibt den Leuten nur einen Vorwand, ihre finsteren Seiten auszuleben und ungestraft zu morden. Es gab vorher Kriege, und es wird nachher Kriege geben, und auch dazwischen werden die Leute einander bekämpfen und verletzen und verstümmeln und betrügen, denn das haben sie schon immer getan.
    Und selbst wenn du dem Krieg und dem Morden entgehst, mein Kleiner, was glaubst du, was das Leben sonst noch für dich bereithält? Du hast längst gesehen, wozu es fähig ist. Es hat dir deine Mutter weggenommen, hat ihre Gesundheit und Schönheit zerstört und sie dann weggeworfen wie eine verdorrte, verfaulte Frucht. Es wird dir noch mehr wegnehmen, das verspreche ich dir. Diejenigen, denen dein Herz gehört– Geliebte, Kinder –, werden auf der Strecke bleiben, und deine Liebe wird nicht ausreichen, um sie zu retten. Deine Gesundheit wird dich im Stich lassen. Du wirst alt und krank werden. Deine Glieder werden schmerzen, dein Augenlicht wird nachlassen, und deine Haut wird trocken und faltig werden. Du wirst Schmerzen in deinem Innern verspüren, die kein Arzt heilen kann. Krankheiten werden einen warmen, feuchten Platz in dir finden, und dort werden sie sich vermehren, sich in

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