Das Buch der verlorenen Dinge
nichts weiter übrig war als ein Loch in der Erde, umgeben von Schutt und einer Wolke aus zähem, grauem Staub. Dann kehrten sie ihr den Rücken zu und ritten viele Tage lang, bis sie schließlich zu dem Wald kamen, durch den David diese Welt betreten hatte. Jetzt war nur noch ein Baum mit einer Schnur markiert, denn mit dem Tod des Krummen Mannes waren auch seine Zaubereien verschwunden.
Vor dem großen Baum stiegen David und der Förster ab.
»Es ist nun Zeit«, sagte der Förster. »Du musst jetzt nach Hause gehen.«
32
Von Rose
David stand mitten im Wald und starrte auf die Schnur und die Öffnung im Stamm, die jetzt wieder sichtbar war. An einem der Bäume daneben hatte vor kurzem ein Raubtier seine Krallen gewetzt, und aus der Wunde tropfte blutiger Saft in den Schnee. Ein leichter Wind strich durch die Kronen, sodass die umstehenden Bäume den verletzten mit ihren Ästen tröstend streichelten. Die Wolken am Himmel begannen sich zu lichten, und Sonnenstrahlen fielen durch die Lücken. Die Welt veränderte sich, erlöst durch den Tod des Krummen Mannes.
»Jetzt, wo es Zeit ist zu gehen, weiß ich gar nicht mehr, ob ich von hier fort möchte«, sagte David. »Es gibt bestimmt noch viel zu sehen. Und ich will nicht, dass die Dinge hier wieder so werden, wie sie waren.«
»Dort drüben gibt es Menschen, die auf dich warten«, sagte der Förster. »Du musst zu ihnen zurück. Sie lieben dich, und ohne dich wird ihr Leben ärmer sein. Du hast einen Vater und einen Bruder und eine Frau, die dir eine Mutter sein könnte, wenn du sie nur lässt. Du musst zurückkehren, sonst wird ihr Leben für immer von deinem Verschwinden überschattet sein. Im Grunde hast du deine Entscheidung schon getroffen. Du hast den Handel mit dem Krummen Mann abgelehnt und damit beschlossen, nicht hier zu leben, sondern in deiner eigenen Welt.«
David nickte. Er wusste, dass der Förster recht hatte.
»Wenn du in diesem Aufzug zurückgehst, wird es Fragen geben«, sagte der Förster. »Du musst alles, was du am Körper trägst, hier lassen, auch dein Schwert. Aber das wirst du in deiner Welt ohnehin nicht brauchen.«
David nahm den Sack mit seinem schmutzigen, zerrissenen Schlafanzug und Morgenmantel aus der Satteltasche und zog sich hinter einem Busch um. Seine alten Kleider fühlten sich ganz merkwürdig an. Er hatte sich so verändert, dass sie einem anderen zu gehören schienen, jemandem, der ihm vage vertraut war, aber jünger und törichter. Es waren die Kleider eines Kindes, und er war kein Kind mehr.
»Darf ich dich etwas fragen?«, sagte David.
»Was immer du möchtest«, sagte der Förster.
»Als ich hierhergekommen bin, hast du mir Kleider gegeben, Kleider eines Jungen. Hattest du mal Kinder?«
Der Förster lächelte. »Sie waren alle meine Kinder«, sagte er. »Jedes, das verloren ging, jedes, das gefunden wurde, jedes, das lebte, und jedes, das starb – sie alle waren in gewisser Weise meine Kinder.«
»Wusstest du, dass der König gar kein echter König war, als du mich zu ihm führen wolltest?« Diese Frage hatte ihn die ganze Zeit beschäftigt, seit der Förster wieder aufgetaucht war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann ihn absichtlich in Gefahr bringen würde.
»Was hättest du denn getan, wenn ich dir gesagt hätte, was ich über den König und den Trickser wusste oder zumindest vermutete? Als du hierherkamst, warst du überwältigt von Wut und Trauer. Du hättest den Überredungskünsten des Krummen Mannes nachgegeben, und dann wäre alles verloren gewesen. Ich hatte gehofft, dich selbst zum König führen zu können, und auf dem Weg dorthin hätte ich versucht, dir bewusst zu machen, in welcher Gefahr du schwebst, aber dazu kam es nicht. Stattdessen hast du, wenn auch unterstützt von anderen, dank deiner eigenen Stärke und Tapferkeit zu erkennen gelernt, wo dein Platz in dieser Welt und in deiner eigenen ist. Als ich dich fand, warst du ein Kind, aber jetzt bist du auf dem Weg zum Mann.«
Er reichte dem Jungen die Hand. David nahm sie, dann ließ er sie los und umarmte den Förster. Nach kurzem Zögern erwiderte der Förster die Geste, und so standen sie einen Moment im Sonnenlicht, bis der Junge sich wieder löste.
Dann ging David zu Scylla und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Du wirst mir fehlen«, flüsterte er ihr zu. Die Stute wieherte leise und stupste ihn sanft mit dem Maul an.
David ging auf den alten Baum zu, drehte sich jedoch noch einmal um. »Kann ich
Weitere Kostenlose Bücher