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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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sicher, wenn er die Hand hineinsteckte, würde seine Haut Blasen werfen und verbrennen.
    Und dennoch war diese Welt eine seltsame Mischung von Fremdem und Vertrautem, als hätte er durch sein Kommen ihr Wesen verändert, sie mit Teilen seines Lebens infiziert.
    »Hast du je von diesem Ort geträumt?«, fragte er Roland. »Oder von mir oder irgendetwas aus dieser Welt?«
    »Als ich dir auf der Straße begegnete, warst du ein Fremder für mich«, sagte Roland, »und ich wusste zwar, dass es dieses Dorf gibt, aber ich war noch nie hier, weil ich noch nie zuvor durch diese Gegend gereist bin. David, dieses Land ist so wirklich wie du selbst. Fang nicht an, dir einzureden, dass alles hier nur ein Traum aus deinem tiefsten Innern ist. Ich habe die Angst in deinen Augen gesehen, wenn du von dem Wolfsrudel sprichst und von den Wesen, die sie anführen, und ich weiß, dass sie dich fressen werden, wenn sie dich finden. Ich habe die Verwesung dieser Männer auf dem Schlachtfeld gerochen. Bald werden wir der Kreatur gegenüberstehen, die sie ausgelöscht hat, und es kann sein, dass wir es nicht überleben. Alle diese Dinge sind wirklich. Du hast hier Schmerzen erlitten. Wenn du Schmerzen fühlst, dann kannst du auch sterben. Und wenn du hier stirbst, ist deine Welt für dich unwiederbringlich verloren. Vergiss das nie. Wenn du das tust, bist du verloren.«
    Wer weiß, dachte David.
    Wer weiß.
     
     
    Es war tief im Dunkel der dritten Nacht, als ein Ruf vom Wachposten am Tor erschallte.
    »Zu mir, zu mir!«, rief der junge Mann, der die Hauptstraße zum Dorf überwachte. »Ich habe etwas gehört, und etwas hat sich dort draußen bewegt. Ich bin ganz sicher.«
    Diejenigen, die schliefen, wachten auf und liefen zu ihm. Diejenigen, die auf den anderen Posten standen, wollten ebenfalls zu ihm laufen, doch Roland befahl ihnen, zu bleiben, wo sie waren. Er ging zum Tor und kletterte die Leiter zu der Plattform an der Mauer hinauf. Einige von den anderen Männern warteten dort bereits auf ihn, während andere sich unten versammelt hatten und durch die Schlitze spähten, die auf Augenhöhe in die Baumstämme geritzt worden waren. Ihre Fackeln zischten und knisterten, als die Schneeflocken hineinfielen und sofort zerschmolzen.
    »Ich sehe gar nichts«, sagte der Schmied zu dem jungen Mann. »Du hast uns ohne Grund aufgeweckt.«
    Sie hörten die Kuh unruhig muhen. Sie hatte sich aus dem Schlaf erhoben und zerrte an dem Strick, mit dem sie angebunden war.
    »Wartet«, sagte Roland. Er nahm einen Pfeil, dessen Spitze mit einem ölgetränkten Lappen umwickelt war, von einem Stapel an der Mauer, hielt die Spitze an eine der Fackeln, und sofort züngelten die Flammen hoch. Er zielte sorgfältig und schoss damit auf die Stelle, an der der Wachposten die Bewegung gesehen hatte. Vier oder fünf von den anderen Männern folgten seinem Beispiel, und ihre Pfeile segelten wie Sternschnuppen durch die Nacht.
    Einen Moment lang war nichts zu sehen außer Schneeflocken und der dunklen Baumgrenze. Dann bewegte sich etwas, und sie sahen, wie ein gewaltiger gelber Körper aus der Erde brach, gerippt wie ein riesiger Wurm, über und über besetzt mit dicken schwarzen Borsten, deren Spitzen in rasiermesserscharfen Widerhaken endeten. Einer der Pfeile hatte die Kreatur getroffen, und ein ekelerregender Geruch nach verbranntem Fleisch breitete sich aus, so furchtbar, dass die Männer sich Nase und Mund zuhielten, um den Gestank nicht einatmen zu müssen. Aus der Wunde sprudelte eine schwarze Flüssigkeit, die in der Hitze der Flammen zischte. David konnte die abgebrochenen Schäfte von Pfeilen und Speeren sehen, die aus der Haut des Ungeheuers ragten, Überreste seiner Begegnung mit den Soldaten. Es war nicht zu erkennen, wie lang es war, aber sein Körper war mindestens drei Meter hoch. Sie sahen, wie das Ungeheuer sich windend aus der Erde schob und dann sein schauerliches Gesicht zeigte. Es hatte traubenartige schwarze Augen wie eine Spinne, manche klein, manche groß, und darunter ein saugendes Maul mit zahllosen Reihen scharfer Zähne. Zwischen den Augen und dem Maul waren Nasenschlitze, die zu beben begannen, als das Ungeheuer die Männer im Dorf und das warme Blut unter ihrer Haut witterte. Rechts und links neben dem Mund befanden sich je zwei Arme mit jeweils drei gekrümmten Krallen, mit denen es sich die Beute in den Rachen schieben konnte. Es schien keine Laute von sich geben zu können, aber man hörte ein feuchtes, schmatzendes Geräusch, als

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