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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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sich, und es senkte schnüffelnd den Kopf. David, der sich in der Dunkelheit hinter der Schmiede versteckt hatte, spähte vorsichtig um die Ecke und blickte direkt in die Augen des Ungeheuers. Sein Maul öffnete sich, Speichel und Blut troffen heraus, und mit einem seiner scharfen Klauenarme fegte es das Dach von der Schmiede, als es nach dem Jungen schnappte. David schaffte es gerade noch, sich rücklings auf den Boden zu werfen. Wie aus weiter Ferne hörte er Rolands Stimme.
    »Lauf, David! Du musst es für uns weglocken!« David rappelte sich auf und rannte durch die engen Gassen davon. Das Ungeheuer folgte ihm und walzte Mauern und Dächer der Häuser nieder, während es mit gesenktem Kopf und wild fuchtelnden Armen die kleine Gestalt zu erhaschen versuchte. Einmal stolperte David, und die Klauen zerfetzten die Kleider auf seinem Rücken, doch es gelang ihm, sich zur Seite zu rollen und wieder auf die Beine zu kommen. Jetzt war er nur noch einen Steinwurf von der Dorfmitte entfernt. Rund um die Kirche war ein Platz, auf dem in glücklicheren Zeiten der Markt abgehalten worden war. Die Männer hatten Kanäle hineingegraben, damit das Öl über den Platz fließen und das Ungeheuer einkreisen konnte. David rannte über die offene Fläche auf die Kirche zu, das Ungeheuer dicht auf den Fersen. Roland stand bereits in der Kirchentür und drängte ihn, sich zu beeilen.
    Plötzlich blieb das Ungeheuer stehen. Überrascht drehte David sich um. Auch die Männer in den umstehenden Häusern, die sich anschickten, das Öl in die Kanäle zu leiten, hielten inne und starrten auf das Ungeheuer. Es begann zu zittern und zu beben, dann riss es das Maul auf und zuckte wie unter unerträglichen Schmerzen. Wie vom Blitz getroffen, fiel es zu Boden, und sein Bauch begann anzuschwellen. David sah, wie sich etwas darin bewegte. Eine Gestalt drückte sich von innen gegen die Haut.
    Sie. Der Krumme Mann hatte gesagt, das Ungeheuer sei weiblich.
    »Es kriegt Junge!«, rief David. »Ihr müsst es töten, sofort!«
    Doch es war zu spät. Mit einem lauten Ratschen riss der Bauch auf, und der Nachwuchs strömte heraus, Miniaturausgaben des Ungeheuers, jedes einzelne so groß wie David, die Augen noch blind, aber die Mäuler hungrig aufgerissen. Einige von ihnen fraßen sich aus ihrer Mutter heraus, schlangen das Fleisch von ihrem sterbenden Körper, um in die Freiheit zu gelangen.
    »Gießt das Öl aus!«, rief Roland den anderen Männern zu. »Gießt es aus, zündet die Lunten an, und dann lauft!«
    Die Jungen krochen bereits über den Platz, getrieben von ihrem Instinkt, zu jagen und zu töten. Roland zog David in die Kirche hinein und verriegelte die Tür. Etwas warf sich von außen dagegen, dass die Tür in den Angeln erbebte.
    Roland nahm David an der Hand und lief mit ihm zum Eingang des Glockenturms. Sie erklommen die Steinstufen, bis sie ganz oben ankamen, wo die Glocke hing, und von dort blickten sie hinunter auf den Platz.
    Das Ungeheuer lag noch da, aber es rührte sich nicht mehr. Wenn es nicht bereits tot war, dann würde es bald so weit sein, denn ein Großteil des Nachwuchses fraß an ihm, zerrte die Eingeweide heraus und nagte an den Augen. Andere krochen über den Platz oder suchten in den umstehenden Häusern nach Nahrung. Das Öl lief durch die Kanäle, aber das schien die Jungen nicht zu stören. In der Ferne sah David die überlebenden Männer auf das Tor zulaufen, in dem verzweifelten Versuch, den Kreaturen zu entkommen.
    »Es brennt nicht«, rief David. »Sie haben das Öl nicht angezündet.«
    Roland nahm einen der Brandpfeile aus seinem Köcher. »Dann müssen wir es tun«, sagte er.
    Er entzündete den Pfeil an seiner Fackel und zielte damit auf einen der Ölkanäle unter ihnen. Der Pfeil sprang von der Sehne und traf den schwarzen Strom. Sofort loderten die Flammen auf und breiteten sich mit rasender Geschwindigkeit über den Platz aus, den Mustern folgend, die man dort eingegraben hatte. Die Kreaturen, die ihren Weg kreuzten, fingen Feuer und wanden sich zischend im Todeskampf. Roland nahm einen zweiten Pfeil und schoss ihn durch das Fenster eines der umstehenden Häuser, doch nichts geschah. Schon versuchten die ersten Jungen, dem brennenden Platz zu entfliehen. Sie durften auf keinen Fall in den Wald gelangen.
    Roland legte seinen letzten Pfeil an, spannte die Sehne und schoss. Diesmal ertönte ein lauter Knall, und die Wucht der Explosion fegte das Dach vom Haus. Flammen loderten in die Höhe, dann folgte ein

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