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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Vertrauen«, erwiderte Roland. »Nicht einmal in mich selbst.«
    Er trank den letzten Schluck Milch und wusch den Becher in einem Eimer mit kaltem Wasser aus.
    »Komm jetzt«, sagte er. »Wir müssen Speere schnitzen und stumpfe Klingen schärfen.«
    Er lächelte freudlos. David erwiderte das Lächeln nicht.
    Sie hatten beschlossen, den größten Teil ihrer kleinen Streitmacht in der Nähe des Tores zu postieren, in der Hoffnung, dass das Ungeheuer davon angezogen würde. Wenn es die Verteidigungslinie durchbrach, würden sie es in die Mitte des Dorfes locken, wo die Falle zuschnappen würde. Dann mussten sie versuchen, es dort festzuhalten und zu töten. Aber sie hatten nur eine einzige Chance.
    Als nicht einmal der Hauch einer Mondsichel am Himmel stand, verließ ein Konvoi von Menschen und Tieren leise das Dorf, begleitet von ein paar Männern, die dafür sorgen sollten, dass sie die Höhlen sicher erreichten. Sobald die Männer zurück waren, wurden rundum auf der Mauer Wachposten aufgestellt, die sich alle paar Stunden abwechselten. Insgesamt waren es vierzig Männer und David. Roland hatte David angeboten, mit den anderen in die Höhlen zu gehen, doch obwohl er Angst hatte, wollte David lieber im Dorf bleiben. Er wusste selbst nicht so recht, warum. Einerseits fühlte er sich bei Roland sicherer, denn der war der Einzige, dem er hier vertraute, andererseits war er auch neugierig. David wollte das Ungeheuer sehen, wie auch immer es aussehen mochte. Roland schien das zu verstehen, denn als die Dorfleute ihn fragten, warum er David erlaubte zu bleiben, sagte er, David sei sein Knappe, und er sei ihm ebenso wertvoll wie seine Waffen und sein Pferd. Als David das hörte, wurde er ganz rot vor Stolz.
    Sie stellten eine alte Kuh auf das offene Gelände vor dem Tor, in der Hoffnung, dass das Ungeheuer davon angelockt würde, doch nichts geschah, weder in der ersten noch in der zweiten Nacht. Die Männer wurden immer mürrischer und erschöpfter. Es schneite ohne Unterlass, und die Kälte fraß sich in alle Glieder. Die Wachposten auf den Mauern konnten wegen des Schneegestöbers kaum den Wald erkennen. Einige fingen an zu murren.
    »Das ist doch Wahnsinn.«
    »Das Ungeheuer friert genauso wie wir. Bei dem Wetter greift es bestimmt nicht an.«
    »Vielleicht gibt es überhaupt kein Ungeheuer. Was, wenn Ethan von einem Wolf oder Bär angegriffen worden ist? Wir haben nur das Wort dieses Vagabunden, dass er tote Soldaten gesehen hat.«
    »Der Schmied hat recht. Was, wenn das alles nur ein Trick ist?«
    Fletcher versuchte, sie zur Räson zu bringen. »Und wozu sollte so ein Trick gut sein?«, fragte er sie. »Er ist nur ein einzelner Mann mit einem Jungen an seiner Seite. Er kann uns nicht im Schlaf umbringen, und wir besitzen nichts, was sich zu stehlen lohnte. Und wenn er es täte, um etwas zu essen zu finden, hat er sich den Ort schlecht ausgewählt. Habt Vertrauen, meine Freunde, und seid geduldig und wachsam.«
    Darauf verstummte ihr Murren, aber sie waren immer noch halb erfroren und unglücklich und vermissten ihre Frauen und Kinder.
    David wich nicht von Rolands Seite. Während der Ruhepausen schlief er neben ihm, und wenn sie an der Reihe waren, die Wache zu übernehmen, begleitete er ihn auf seinen Kontrollgängen. Nun, da alle Vorkehrungen zur Verteidigung getroffen waren, nahm Roland sich die Zeit, mit den Männern des Dorfes zu plaudern und zu scherzen, er weckte sie, wenn sie einnickten, und munterte sie auf, wenn der Mut sie verließ. Er wusste, dass dies die schwerste Zeit für sie war, denn die Wache war eintönig und nervenaufreibend zugleich. Als David ihn im Umgang mit den anderen Männern sah und sich in Erinnerung rief, wie er den Aufbau der Verteidigungsanlagen geleitet hatte, fragte er sich, ob Roland wirklich nur ein einfacher Soldat war, wie er behauptet hatte. Auf David wirkte er eher wie ein Herrscher, wie jemand, der dazu geboren war, andere Männer anzuführen. Dennoch ritt er allein.
    In der zweiten Nacht saßen sie im Schein eines großen Feuers, in dicke Umhänge gehüllt. Roland hatte David gesagt, er könne sich in einem der umliegenden Häuser schlafen legen, doch niemand von den anderen Männern hatte diese Möglichkeit genutzt, und David wollte nicht noch schwächer erscheinen, als er es ohnehin schon war, selbst wenn es bedeutete, dass er draußen in der Kälte schlafen musste. Also blieb er bei Roland. Die Flammen tauchten die Züge des Soldaten in flackerndes Licht, warfen Schatten

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