Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Beren und Tinúviel zu jener Lichtung kamen, hatte Huan von den Hunden, obgleich dies vielleicht töricht erscheinen mag, Tevildo unbehelligt gelassen und ihm zurückzukehren gestattet, das große goldene Halsband aber hatte er selber angelegt, und über nichts sonst war Tevildo wütender, denn in diesem Band barg sich ein großer Zauber von Stärke und Macht. Es gefiel Huan nur wenig, dass Tevildo noch lebte, doch von jetzt an fürchtete er die Katzen nicht mehr, und diese sind seitdem immer vor den Hunden geflohen, und seit der Demütigung Tevildos in den Wäldern nahe Angamandi strafen die Hunde sie mit Verachtung; und Huan hat keine größereTat vollbracht als diese. Später erfuhr Melko dies alles und verfluchte Tevildo und sein Volk und verbannte sie, und seit jenem Tage hatten sie weder einen Herrn und Meister noch einen Freund, und ihre Stimmen jammern und klagen, denn ihre Herzen sind sehr einsam und bitter und voller Trauer, doch nur Böses ist darin und keine Freundlichkeit.
Zu der Zeit, von der die Geschichte erzählt, war es Tevildos größtes Begehren, Beren und Tinúviel wieder in seine Gewalt zu bekommen und Huan zu töten und die Zauberworte und die Magie zurückzugewinnen, die er eingebüßt hatte, denn er fürchtete sich sehr vor Melko und wagte es nicht, seinen Meister um Hilfe zu bitten, um nicht die Niederlage und den Verlust seines Zaubers offenbar werden zu lassen. Huan, der dies nicht wusste, mied solche Orte, und fürchtete sehr, was geschehen war, könne rasch Melko zu Ohren kommen, wie es mit den meisten Dingen geschah, die sich in der Welt zutrugen; darum wanderten nun Tinúviel und Beren mit Huan weit fort und schlossen enge Freundschaft miteinander, und in dieser Zeit wurde Beren wieder kräftig, die Spuren seiner Knechtschaft verschwanden, und Tinúviel liebte ihn.
Doch diese Tage waren wild und hart und sehr einsam, denn niemals erblickten sie das Gesicht eines Elben oder Menschen, und schließlich sehnte sich Tinúviel bitterlich nach ihrer Mutter und den Liedern süßen Zaubers, die sie nahe ihren uralten Hallen den Kindern vorzusingen pflegte, wenn über die Waldlande die Dämmerung hereinbrach. Oft glaubte sie auf anmutigen Lichtungen 9 , wo sie rasteten, die Flöte ihres Bruders Dairon zu hören, und ihr Herz wurde schwer. Endlich sagte sie zu Beren und Huan: ›Ich muss nach Hause zurückkehren.‹ Und nun ist es Berens Herz, das von Kummer überschattet wird, denn er liebte das Leben in den Wäldern mit den Hunden (denn inzwischen hatten sich viele weitereHunde Huan angeschlossen), doch ohne Tinúviel freute es ihn nicht.
Gleichwohl sagte er: ›Niemals kann ich mit dir in das Land Artanor zurückkehren – noch dich jemals später dort aufsuchen, liebe Tinúviel, es sei denn, ich trage einen Silmaril; und die Gemme werde ich nun nie mehr erlangen, denn bin ich nicht ein Flüchtling aus den Hallen Melkos, der die schlimmsten Qualen zu gewärtigen hat, wenn einer seiner Diener ihn erspäht?‹
Dies sagte er nun aus Gram, sich von Tinúviel trennen zu müssen, und ihr Herz war zerrissen, denn sie konnte den Gedanken nicht ertragen, Beren zu verlassen, mochte jedoch auch nicht für immer in der Verbannung leben. So saß sie eine Weile in trüben Gedanken und sagte kein Wort, doch Beren saß neben ihr und sagte schließlich: ›Tinúviel, wir können nur eines tun – einen Silmaril beschaffen‹; und darauf ging sie zu Huan, bat ihn um Hilfe und Rat, doch er wurde sehr bedenklich und sah in diesem Vorhaben nichts als Torheit. Doch schließlich erbat Tinúviel das Fell Oikerois von ihm, den er beim Angriff auf der Lichtung getötet hatte; Oikeroi war nun eine sehr große Katze gewesen, und Huan hatte das Fell als Siegeszeichen behalten.
Nun wandte Tinúviel ihre Kunstfertigkeit und ihren Feenzauber an, und sie nähte Beren in dieses Fell ein, so dass er aussah wie eine große Katze, und sie lehrte ihn, wie eine Katze zu sitzen, sich zu rekeln, zu schreiten, springen und trotten, bis Huans Schnurrhaare sich bei diesem Anblick sträubten, worüber Beren und Tinúviel lachen mussten. Freilich lernte es Beren nie, zu kreischen, zu jammern oder zu schnurren wie eine wirkliche Katze, und ebenso wenig gelang es Tinúviel, ein Leuchten in die toten Augen des Katzenfells zu zaubern. ›Aber wir müssen uns damit abfinden‹, sagte sie, ›und wenn du deineZunge im Zaum hältst, kannst du gut für eine sehr würdige Katze gelten.‹
Darauf sagten sie Huan Lebewohl und machten sich auf
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