Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
ausritt, war er prächtiger anzuschauen als je zuvor, und der goldene Helm krönte seine wehenden Locken, und das Geschirr seines Pferdes war mit Gold verziert; und das Sonnenlicht zwischen den Bäumen fiel auf sein Gesicht, und denen, die es erblickten, kam es vor wie das strahlende Antlitz der morgendlichen Sonne; denn um seinen Hals trug er das Nauglafring geschlungen, das Halsband der Zwerge. Neben ihm ritt Mablung von der schweren Hand, und dies war ein Ehrenplatz wegen seiner großen Taten bei der einstigen großen Jagd – doch Huan von den Hunden war den Jägern voraus, und die Männer dachten, der große Hund verhalte sich sonderbar, doch vielleicht witterte er an diesem Tag etwas im Wind, das ihm nicht behagte.
Nun ist der König mit seinem ganzen Gefolge tief in den Wäldern, und der Hörnerklang erstirbt im Herzen des Waldes, doch Gwendelin sitzt in ihrem Gemach, und in Auge und Herz schleicht sich eine böse Ahnung. Da sagte Nielthi, ein Elbenmädchen: ›Warum, o Herrin, bist du so sorgenvoll am Freudentag des Königs?‹ Und Gwendelin sagte: ›Unheil droht unserem Land, und mein Herz sagt mir, dass meine Tage in Artanor sich rasch ihrem Ende nähern, doch sollte ich Tinwelint verlieren, dann wünschte ich, niemals hätte ich Valinor verlassen.‹ Doch Nielthi sagte: ›Nein, o Herrin Gwendelin, hast du uns nicht zur Gänze in deinen Zauber eingesponnen, so dass wir uns nicht fürchten müssen?‹ Die Königin jedoch gab zur Antwort: ›Mir scheint vielmehr, dass eine Ratte an denFäden nagt und das ganze Gespinst entwirrt worden ist.‹ Just bei diesen Worten ertönte vor den Toren ein Schrei, und plötzlich wuchs er zu einem wilden Lärm, und Stahl klirrte. Da trat Gwendelin ohne Furcht aus ihrem Gemach, und seht! eine Menge von Orks und Indrafangs hielt die Brücke besetzt, und an den Eingängen zu den Grotten tobte ein Kampf; doch der Platz schwamm in Blut, und ein großer Haufen Erschlagener lag dort, denn der Angriff war heimlich und ganz unbemerkt erfolgt.
Da wusste Gwendelin nur zu gut, dass ihre böse Ahnung sie nicht getrogen und am Ende Verrat ihr Reich heimgesucht hatte, doch sie ermutigte die wenigen Wachen, die bei ihr geblieben und nicht an der Jagd teilgenommen hatten, und tapfer verteidigten sie den Palast des Königs, bis die Flut der Feinde sie zurückdrängte und Feuer und Blut alle Hallen und tiefen Gänge dieser mächtigen Festung der Elben erfüllte.
Dann plünderten die Orks und Zwerge alle Gemächer und suchten nach Schätzen, und einer kam und setzte sich laut lachend auf den hohen Sitz des Königs, und Gwendelin sah, dass es Ufedhin war; und spöttisch forderte er sie auf, in ihrem angestammten Sitz neben dem des Königs Platz zu nehmen. Da warf ihm Gwendelin einen tiefen Blick zu, so dass er die Augen niederschlug, und sie sagte: ›Warum, o Abtrünniger, besudelst du meines Gebieters Thron? Kaum habe ich daran gedacht, einen der Elben dort sitzen zu sehen, einen Räuber und blutbefleckten Mörder, einen Kumpanen der ruchlosen Feinde seines Geschlechts. Hältst du es gar für eine ruhmreiche Tat, ein schlecht gewappnetes Haus anzugreifen, zu einer Zeit, da sein Herr weit fort ist?‹ Ufedhin jedoch sagte nichts und mied die strahlenden Augen Gwendelins, so dass sie fortfuhr: ›Hebe dich nun hinweg mit deinen eklen Orks, damit Tinwelint nicht komme und es euch bitter heimzahle!‹
Da schließlich antwortete Ufedhin, und er lachte, doch ihm war unbehaglich, und er blickte die Königin nicht an, sondern sagte, auf ein Geräusch von draußen lauschend: ›Nein, er ist schon da.‹ Und wirklich, nun trat Naugladur ein, und eine Schar von Zwergen war bei ihm; er jedoch trug das goldgekrönte Haupt Tinwelints; doch das Halsband, das alle bestaunten, lag um den Hals von Naugladur. Da sah Gwendelin in ihrem Herzen alles, was vorgefallen und wie der Fluch des Goldes über das Reich von Artanor hereingebrochen war, und nie wieder seit dieser dunklen Stunde hat sie getanzt oder gesungen; Naugladur indes befahl, jedes Stück von Gold, Silber und alle kostbaren Steine zusammenzulesen und nach Nogrod zu tragen. ›Und was immer übrigbleibt an Gut oder Volk, sollen die Orks behalten oder töten, wie sie wollen. Doch die Herrin Gwendelin, Königin von Artanor, soll mich begleiten.‹
Darauf erwiderte Gwendelin: ›Dieb und Mörder, Kind Melkos, du bist dennoch ein Narr, denn du kannst nicht sehen, was über deinem eigenen Haupte hängt.‹ Durch die Qual ihres Herzens waren ihre
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