Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
er war vor drei Tagen in Delphi gewesen. Drei Tage in Delphi, sicher, das allein bedeutete noch gar nichts: Diese Reise hätte sein Vater genauso gut vor einigen Monaten in seiner ursprünglichen Zeit machen können. Trotzdem, um ein Haar hätte Sam ihn jetzt hier getroffen! Wenn durch einen glücklichen Zufall dieses Wunder passiert wäre, wären sie einander in die Arme gefallen, hätten ein paar Tränen vergossen und sich – sobald sich die erste Rührung gelegt hatte – in einen ruhigen Winkel -zum Beispiel vor Metaxos Hütte – zurückgezogen, um sich gegenseitig ihre Abenteuer zu erzählen. Allan hätte erklärt, was ihn so Wichtiges nach Delphi geführt hatte, und Sam hätte ihn vor den Gefahren gewarnt, die im Schloss von Bran auf ihn lauerten. Sie wären beide übereingekommen, dass es das Vernünftigste sein würde, in die Gegenwart zurückzukehren, und sie wären ohne Zwischenfall wieder in Saint Mary gelandet. Zurück am Ausgangsort, zurück im normalen Leben!
In Wirklichkeit war natürlich alles ganz anders gelaufen . . . Dennoch eröffnete Allans Besuch in Delphi ganz neue Perspektiven. Und wenn Sam auf seinen Zeitsprüngen irgendwann tatsächlich seinen Vater treffen würde? Dann müsste er nicht länger den sieben Münzen hinterher rennen und in der Walachei sein Leben aufs Spiel setzen! Es würde genügen, ihn zu warnen, wo auch immer sie sich zusammenfinden würden. Ein weiterer Beweis dafür, dass es doch eine gute Idee von Sam gewesen war, den Stein zu benutzen . . .
Doch es gab auch eine schlechte Neuigkeit. Sie hieß: Nabel der Welt. Sam hatte zwar keine Ahnung, worum es sich dabei handelte, doch er erinnerte sich sehr genau an das Gespräch der beiden Museumswärter, das er in Saint Mary belauscht hatte: »Hast du in der Zeitung dieses Ding gesehen, das sie in London versteigert haben? Nabel der Welt oder so ähnlich. Zehn Millionen US-Dollar in weniger als zehn Minuten! So was könnte sich unser Museum kaum leisten!«
Demnach war der Nabel der Welt vor Kurzem in Delphi gestohlen worden und ebenso kürzlich – aber dennoch einige tausend Jahre später – in England verkauft worden. Dazwischen sein Vater . . . Sein Vater, der mit einer Bohrmaschine hierhergekommen war. Sein Vater, den Metaxos anscheinend bei einer Tat ertappt hatte, die so verwerflich war, dass er nicht darüber zu sprechen wagte. Sein Vater, der sich höchstwahrscheinlich nicht mit der Jagd nach seltenen Büchern begnügte, sondern auch hinter anderen wertvollen Dingen her war. Es sei denn ... es sei denn, es gäbe eine andere Erklärung.
»Samos! Samos!«, flüsterte Metaxos. »Bist du noch da?«
»Natürlich bin ich noch da«, gab Sam gereizt zurück.
»Samos, ich habe Angst! Sie werden mich töten . . .«
»Red doch keinen Unsinn, sie wollen nur wissen, wo der Nabel der Welt geblieben ist. Weißt du eigentlich, wie er aussieht?«
»Du hast weniger Ahnung davon als dein Vater«, bemerkte Metaxos. »Er hat wenigstens . . .«
»Jaja, schon gut«, unterbrach ihn Sam, »ich habe weniger Ahnung davon als mein Vater, das habe ich begriffen! Aber sei doch so nett und erkläre mir einfach, was es ist.«
»Es ist der Stein, der zur Mitte von allem weist, Samos! Als Zeus herausfinden wollte, wo der Mittelpunkt der Erde ist, hat er zu jedem Ende der Erde einen Adler geschleudert. Die beiden Adler haben sich genau über Delphi wiedergetroffen und den Stein fallen lassen, und deshalb weiß man, dass Delphi der Nabel der Welt ist.« »Und wo genau befand sich dieser Stein?«
»Der echte Stein ist im Tempel des Apollon. Doch die Athener haben sich ihren eigenen Stein gehauen und ihn mit Gold überzogen. Sie wollten ihn beim großen Fest dem Gott darbringen, und bis dahin bewahrten sie ihn in ihrem Schatz auf. Und dort hat dein Vater . . .«
Er fing wieder laut an zu schniefen, sodass Sam instinktiv ein Taschentuch in seiner Tasche suchen wollte. Doch er fand nur die Münze aus dem Museum und das Kleid der kleinen Statue.
»Kannst du mir sagen, was vor drei Tagen geschehen ist, Metaxos? Ob mein Vater dir irgendetwas anvertraut hat? Was er mit dem Nabel der Welt vorhatte oder was weiß ich?«
»Nein, nein«, wehrte der Hirte ab. »Wenn ich rede, werde ich nie wieder auf meinen Hügel zurückkehren, nie wieder! Ich werde meine Ziegen nie wiedersehen und meinen Hund auch nicht! Nicht über deinen Vater sprechen, nein, das nicht!«
Die Tür wurde aufgestoßen.
»Na, hat die Jammerei jetzt mal ein Ende? Kommt her, ihr beiden,
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