Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
verschrumpelten Apfel vertieften. In der Hand hielt er eine große Plastiktüte, die er ungeschickt hinter seinem Bein zu verstecken versuchte.
»Ist schon eine ganze Weile her, dass ich das letzte Mal hier war«, stellte er fest und ließ sich im Wohnzimmer aufs Sofa sinken.
»Sehr sympathische Leute, diese Todds, nicht wahr?«
»Sie sind sehr nett zu mir.«
»Umso besser. Ich soll ganz lieb von deiner Großmutter grüßen, Sam, und auch von Lili.« »Hat es mit Evelyn Schwierigkeiten gegeben?«
»Wie deine Cousine dir sicher gesagt hat, ist ihre Rechnung glatt aufgegangen. Evelyn war so froh, dass sie Rudolf dazu gebracht hat, den Polizeichef zu bitten, die Sachen wieder herauszugeben, die sie mitgenommen hatten. Unter anderem auch das hier, das sie in Lilis Zimmer gefunden hatten . . .«
Er zog das »Buch der Zeit« aus der Plastiktüte.
»Du meine Güte«, rief Sam aus. »Was ist denn damit passiert?«
Der rote Einband des dicken Buches sah noch mitgenommener aus als vorher, voller Dellen und Kratzer, aber an einigen Stellen war er auch ausgebleicht, als hätte er zu lange in der Sonne gelegen.
»Man könnte meinen, es sei . . . es sei älter geworden!«, rief Sam verblüfft.
»Das ist noch nicht alles. Lili behauptet sogar, es seien Seiten herausgerissen worden.«
Mit schlimmsten Befürchtungen schlug Samuel das Buch auf: Tatsächlich, einige Blätter fehlten, aus anderen war mit großer Sorgfalt etwas herausgeschnitten worden, wieder andere hatte man brutal zerrissen. Auf den verbliebenen Seiten – immerhin waren die meisten noch da – erkannte man Abbildungen von Saint Mary im Jahre 1932. Immer wieder tauchte derselbe Titel auf: »Die Dorffeste von Saint Mary«.
»Setni hatte recht«, bemerkte Sam, »der Tätowierte hat tatsächlich versucht, unsere Rückkehr zu verhindern. Aber . . . die Polizei – haben sie eine Erklärung dazu abgegeben, dass das Buch in so einem Zustand ist?« »Eine merkwürdige Sache«, antwortete Grandpa. »Sie behaupten, dass alle Beweisstücke unter Verschluss waren und sich eigentlich niemand dazu Zutritt verschaffen konnte . . . Wie dem auch sei, die Angelegenheit mit der Polizei regeln wir später . . . Bist du mit deinen Nachforschungen weitergekommen?«
»Ich habe mir einen Plan von Schloss Bran beschafft. Dadurch werde ich ein bisschen Zeit gewinnen.«
»Bestens. Wenn du einmal auf dem richtigen Weg bist.. . Es gibt da allerdings noch eine Sache, die ich nicht vor deiner Großmutter besprechen wollte. Was hatte dein Vater eigentlich da unten in der Walachei zu suchen?«
Samuel hatte dieses Kapitel absichtlich ausgespart, um niemanden zu verletzen. So hatte er zum Beispiel den Nabel der Welt oder die Firma Arkeos vorsichtshalber gar nicht erwähnt.
»Ich ... ich denke, Papa besorgt sich in der Vergangenheit alte Bücher für seine Buchhandlung.«
Grandpa kratzte sich am Kinn.
»So etwas in der Art hatte ich befürchtet. Dein Vater hatte leider erhebliche finanzielle Probleme. Wir haben hier und da ausgeholfen, aber ... Er hatte sich immer mehr zurückgezogen! Auf jeden Fall danke ich dir für deine Offenheit. Aber kein Wort darüber zu Grandma, du weißt ja, wie stolz sie auf ihren Sohn ist!«
»Mach dir keine Sorgen, ich kann schweigen.«
»Sehr gut. Übrigens, ich . . . ich habe dir auch noch das hier mitgebracht, mein Junge.«
Er zog ein zusammengeschnürtes Päckchen aus seiner Tüte. Mit zitternden Fingern löste er den Knoten und schlug das Ledertuch auseinander, das als Verpackung diente. Zum Vorschein kam eine schwarze Pistole.
»Das ist die Browning meines Vaters«, erklärte Grandpa. »Da er als unschuldig galt, hat er sie nach dem Prozess wiederbekommen. Ich . . . ich habe mich nie davon trennen können. Vielleicht habe ich ja auf einen Moment wie diesen gewartet, wer weiß . . . Auf jeden Fall habe ich sie immer gut gepflegt, sie ist vollkommen intakt. Und sie ist sehr einfach zu bedienen, sieh her.«
Donovan gab ihm eine kurze Einweisung, der Sam mit einem seltsamen Gefühl im Bauch folgte. Abzug, Zylinderkopf, Magazin . . .
»Sieben sind noch drin«, ergänzte Grandpa. »Dort, wo du hinwillst, kann sie dir vielleicht nützlich sein.«
Sam nahm die Waffe an, obgleich ihm nicht ganz wohl dabei war. Er wog sie prüfend in seiner Hand, als wollte er sie zähmen. Soll ich die Browning heute Abend zu Schloss Bran mitnehmen?, fragte er sich. Warum eigentlich nicht?
XX.
Schloss Bran
Noch nie war der Transfer so schmerzhaft gewesen . .
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