Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
ließ sich nicht nach innen oder außen öffnen, sondern, indem man sie von rechts nach links schob! Er versuchte, sie seitwärts zu drücken, und merkte, wie sie sich ein winziges Stück bewegte. Sie war einfach tonnenschwer . . .
Zentimeter für Zentimeter schob er die Tür zur Seite, gerade so weit, dass er hindurchschlüpfen konnte. Leider folgte gleich das nächste Hindernis, eine Art großer Kleiderschrank oder großes Büffet. Ein schwacher Lichtschimmer fiel an den Seiten herein, und in der Ferne hörte er eine Männerstimme singen: »Durch die Luft und durch das Wasser / die Nase im Wind, mit stolzem Gesicht. . .«
Ein mittelalterlicher Hit?
Samuel stemmte sich mit seiner Schulter gegen das Möbelstück, klemmte einen Fuß in eine Mauerspalte, damit er sich abdrücken konnte, und versuchte, das schwere Ding wegzuschieben. Das Möbelstück rutschte mit einem schabenden Geräusch ein Stück beiseite.
»Durch die Felder, durch die Fluten / Durch die Luft und durch das Wasser . . .«
Glücklicherweise hatte der Typ eine kräftige Stimme. Ein zweiter Versuch: Bauch einziehen, anspannen, den Fuß strecken .. . geschafft! Die Lücke war gerade so groß, dass er sich hindurchzwängen konnte.
Im Halbdunkel blickte er sich um: Die Treppe hatte ihn in einen direkt in die Felsen gehauenen, gewölbeartigen Raum geführt, in dem es nach Braten roch, ja, richtig, ganz unverkennbar. Überall stapelten sich Hellebarden, Unmengen von Waffen, Schilde, Armbrüste, Eisenkugeln, kleine Kanonen, alles sorgfältig entlang der Wände oder auf Art Regalen wie unten im Keller geordnet. Samuel schob den Schrank zurück auf seinen Platz, ließ die Tür jedoch geöffnet: wieder der Gedanke an eine mögliche überstürzte Flucht, bei der jede Sekunde zählte. Die Waffenkammer ging in einen zweiten Raum über mit langen Bänken und Tischen, auf denen zahlreiche Helme lagen -wahrscheinlich der Aufenthaltsraum der Wachen. Der Sänger saß mit dem Rücken zu ihm vor dem Kamin und war dabei, ein großes Stück Fleisch zu braten. Fett tropfte ins Feuer und ließ die Flammen hochschlagen, während er aus vollem Halse sang: »Von meinen Armen, von meinem Rücken / Durch die Luft und durch das Wasser; Wo meine Margot mich erwartet / Durch die Luft und durch das Wasser. . .«
Er war offensichtlich allein und so auf seinen Festschmaus konzentriert, dass er nicht darauf achtete, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Das war ein Fehler...
Samuel tastete instinktiv nach seiner Waffe, doch dann besann er sich. Er suchte sich aus dem Arsenal einen Knüppel vom Format eines Baseballschlägers aus, der an einem Ende angespitzt war, und schlich sich auf Samtpfoten von hinten an den großen Hoffnungsträger des walachischen Chansons heran.
»Ich kehre zurück zum Schloss / Durch die Luft und durch das Wasser; Wo meine Margot mich erwartet / Durch die . . .«
Mit einem dumpfen Schlag traf die Keule ihn im Nacken.
»Vielleicht noch einen auf den Schädel?«, schlug Sam vor.
Der Soldat sackte in sich zusammen, und Samuel hielt ihn fest, damit er nicht kopfüber in die Feuerstelle kippte. Dann schleifte er ihn in die hinterste Ecke der Waffenkammer. Angesichts des Zustands ihres Liebhabers würde sich Margot bis zur Verlobung noch ein bisschen gedulden müssen . . .
Sam warf durch die Tür einen Blick in den Aufenthaltsraum der Wachen. Eine Wendeltreppe führte aus dem Kellergewölbe in die oberen Stockwerke. Das musste der runde Turm sein. Wenn er den Plan des ungarischen Studenten noch richtig im Kopf hatte, lag das Verlies unterhalb des zentralen Innenhofes auf der Ostseite. Der sicherste Weg, bei dem er am wenigsten riskierte, jemandem zu begegnen, führte durch die Kellergewölbe. Er folgte der Treppe nach unten und lief ein wenig der Nase nach durch die langen Gänge, die in unregelmäßigen Abständen von Fackeln beleuchtet wurden. Überraschenderweise traf er auch hier keine Menschenseele, und man hörte auch nur ganz gelegentlich den Widerhall gleichmäßiger Schritte aus der Ferne. Waren hier etwa alle im Urlaub?
Bei einer Abzweigung glaubte Sam schon, er hätte sein Ziel erreicht, doch hinter der Gittertür lagerten nur reihenweise Fässer. Nach ein paar weiteren Umwegen kam er wieder zu einer Treppe, die in die Tiefen des Schlosses hinabführte, direkt zu den Verliesen. Das Gefängnis bestand aus einem breiten, aber sehr niedrigen Gang, an dem hinter dicken, beschlagenen Türen etwa ein halbes Dutzend Zellen lag. In der Mitte des
Weitere Kostenlose Bücher