Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Bitte lasst mich Euch ebenfalls erklären, was mir widerfuhr. Ich … Da ist noch jemand. Er ist verletzt …“
„Du hast doch nichts angestellt?“, erkundigte sich nun auch der Bauer, doch er fragte es streng, wo Rika nur sorgenvoll und ängstlich geklungen hatte.
„Nein, Bauer, wirklich nicht. Mir ist ein Unrecht widerfahren, und ich muss nach Hause nach Heidelberg, um es aufzuklären.“ Sie nahm Juli, die auf ihrem Arm zappelte, auf die andere Seite. Sie zeigte mit dem Kopf auf ihr Kind und sagte: „Ich muss sie frisch machen. Ich bräuchte Tuch. Ich kann bezahlen.“
Des Bauers Weib war herangekommen, sie hatte ein rundes Gesicht und eine spitze Himmelfahrtsnase. Unter ihrem hellen Kopftuch lugte ein Kranz rötlich-blonder Haare hervor. Hedwig nickte ihr grüßend zu. Sie sah, dass sich drüben unter der Haustür vorwitzig drei Kinder drängten.
„Wo kommt sie her so früh?“, wollte das Weib wissen und stellte sich neben ihren Mann.
Rika antwortete für sie. „Ich hab sie in der Scheune gefunden. Sie braucht Hilfe, Bäuerin.“
Die Bauersfrau beäugte sie misstrauisch. „Ein loses Weib mit einem Säugling? Sucht Unterschlupf in unserer Scheune? Was stimmt nicht mit dir, Weib?“
Hedwig biss sich auf die Unterlippe. „Bitte glaubt mir, ich bin ehrbar. Ich arbeite als Magd in Heidelberg, und mein Ehemann ist Knecht in der kurfürstlichen Kanzlei.“ Sie hatte es befürchtet. Der Blick, den die Bäuerin ihrem Gemahl zuwarf, sprach von dem Misstrauen, das man umherziehenden Leuten entgegenbrachte. Sie könnte zu einer Diebesgruppe gehören oder zu Zigeunern. Und wortlos sagte die Bäuerin ihrem Mann noch etwas anderes: Kürzlich hatte man sie vor einem Weib mit Säugling gewarnt. Hätte Hedwig nicht von Rika gehört, dass ihre Verfolger da gewesen waren, sie läse es spätestens jetzt im Blick dieses Weibes.
„Bitte, Bäuerin, glaubt mir, man hat mir übel mitgespielt, und ich muss schnellstmöglich nach Heidelberg.“
„Außerdem liegt ein Verletzter in der Scheune“, mischte Rika sich nun wieder ein.
„Was?!“, rief die Bauersfrau und warf einen erneuten Blick auf ihren Mann, der besagte, dass es offenkundig war, dass die Boten kürzlich also recht gehabt hatten.
„Er half mir und wurde dabei verletzt. Er ist ein Wandermedicus, der seine eigenen Kräuter benutzen kann, doch braucht er warmes Wasser und frische Tücher. Bitte, um der Liebe Christi willen, gebt uns Unterkommen, nur für einige Stunden, dann ziehen wir weiter.“
Hedwig war den Tränen nahe. Sie hatte keine Kraft mehr, und der Argwohn schmerzte. Juli merkte, dass die Stimmung nicht entspannt und heiter und ihre Mutter erschöpft war. Sie begann zu wimmern. Hedwig schaukelte sie sanft auf und nieder. „Scht, Juli, sei still, Kind. Hier …“, Hedwig rückte Juli seitlich und schaute an ihr vorbei auf ihren Gürtel. Mit der freien Hand hielt sie ihren Geldbeutel hoch und schüttelte ihn. Münzen klimperten. Juli sah, dass etwas geschah, und beruhigte sich. „Ich ersetze Euch Eure Auslagen. Ich will Euch kein Arg. Bitte. Auch etwas zu essen.“
Die Bäuerin schaute noch immer zweifelnd, doch Bauer Schnabel spuckte zur Seite hin aus und sagte: „In Ordnung, ich will dir glauben. Weib, nimm …“
Weiter kam er nicht.
Alles ging schnell, verschmolz zu
einem
Bild. Wie er inmitten des Satzes verstummte und an Hedwig vorbei starrte. Wie seines Eheweibs Augen sich erschrocken weiteten, als sie seinem Blick folgte. Wie Rika sich ruckartig umdrehte und einen Laut der Bestürzung ausstieß. Wie Hedwig ebenfalls herumfuhr und sah, wie Ryss aus der Scheune taumelte, Halt suchend nach der Tür griff, ins Leere fasste, einknickte, fiel. Und wie er schließlich dalag, mit dem Gesicht nach unten im Schnee, das schwarze Haar, der schwarze Umhang, einem düsteren Gespenst gleich, einem finstren Felsen, der rußig aus hellen Nebeln emporragt.
Hedwig kniete neben Ryss, der auf einem braunen Kuhfell neben der offenen Feuerstelle lag, und hielt ihm einen Löffel Brei vor den Mund. Er hatte sich zuerst gewehrt und ohne ihre Hilfe essen wollen, doch konnte er kaum die Holzschale halten, also half sie ihm doch. Ihre eigene Schale mit dem Mus stand neben ihr, und wenn Ryss kaute, nahm sie einen Löffel voll davon.
Bäuerin Schnabel hatte den Morgenbrei kurzerhand gestreckt und zudem Rosinen und Walnüsse hineingetan, die ihre drei Mädchen eilig geknackt hatten, während sie eine Abkochung von Zinnkraut machte. Die darin getränkten Tücher
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