Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
auf dem Melkschemel und gähnte, während sie die Kuh molk. Sie hockte genau in Hedwigs Blick, Hedwig sah das Kopftuch, den wollenen grauen Umhang mit Armschlitz. Ihr Herz klopfte wild, unwillkürlich wich sie zurück. Was nun? Sollte sie die Magd ansprechen? Womöglich rannte sie schreiend davon. Sie hörte ein Geräusch und sah über die Schulter zurück. Ryss hatte den Blick auf sie gerichtet, stützte sich auf den Ellbogen und schüttelte dabei den Kopf. Leise krauchte sie zu ihm. „Gott sei’s gedankt, Ihr seid wach!“, flüsterte sie nah an seinem Gesicht. „Was sollen wir tun?“
Er rieb die Lippen aufeinander und hauchte: „Wartet.“
„Ihr habt Fieber.“
„Nicht schlimm, geht vorüber.“ Er verzog das Gesicht, raffte den Umhang enger.
„Und dann?“
Er versuchte sich aufzurichten, unter Mühen gelang es ihm. Hedwig bemerkte, dass er sein Zittern zu unterdrücken suchte. Sie biss sich auf die Unterlippe, fühlte sich mit einem Mal entsetzlich mutlos. Er war da gewesen, hatte entschieden, geholfen, gesorgt gar. Jetzt kam sie sich völlig allein vor, sie wusste nicht, was das Richtige war. Wäre es nicht das Beste, sich zu zeigen?
„Wenn sie ist weg …“
„Wir brauchen etwas zu essen“, unterbrach sie ihn. Sie brauchten mehr als das. Sie brauchten Hilfe.
Ryss
brauchte Hilfe, das sah ein Blinder. Gleich wie arg oder nicht arg das Fieber war, einen Aufguss konnte er nirgends für sich brauen, da konnte er noch so viel Heilsames in seinem Rucksack haben. Es gab nur eine Möglichkeit.
„Ryss“, flüsterte sie. „Ich werde mich zeigen.“
Er wollte widersprechen, doch sie legte ihm rasch den Finger auf den Mund. Stocksteif wurde er, seine Augen weiteten sich verwundert. Schnell nahm sie die Hand fort, sah verlegen unter sich. Ohne nachzudenken hatte sie das getan, aus dem Gefühl heraus, und sie war selbst überrascht davon. An ihrem Finger pochte der Nachhall ihrer Berührung dieser weichen, warmen Stelle. „Verzeiht“, murmelte sie und hob den Kopf. Die Überraschung war aus seinem Gesicht gewichen, er schien zu harren. „Aber Ihr … Wir brauchen Hilfe, und vielleicht ist sie tapfer genug, nicht gleich das Übelste anzunehmen.“
Unten muhten die Kühe, murmelte die Magd.
Er nickte unmerklich. „Ihr seid ein starrhalsiges Mädchen, ich sagte es schon?“ Er sank zurück ins Stroh. „Und mutig.“ Er lächelte schwach.
Hedwig lächelte zurück. Und in diesem kurzen Augenblick, da sie in seine Augen sah, da sie seine Ergebenheit spürte, begann sie etwas zu begreifen. Noch hatte sie dafür keine Worte. Wie ein feiner Schleier umwob es ihre Gedanken und Gefühle, doch es hatte etwas zu tun mit der Art und Weise, wie sie sich um ihn zu kümmern bereit war, wie etwas in ihr sich anfühlte nach Stärke und Entschlossenheit für ihn – aber auch für sich selbst. Es hatte nichts mit dem mütterlichen Gefühl für Juli zu tun, auch nichts mit der Liebe und Hingebung für Philipp. Es war etwas von Mensch zu Mensch, undeutlich spürte sie es, doch seltsam greifbar auch und auf eigene Weise tief, die Bereitschaft, einem anderen beizustehen, eine leise Freude daran. Und sie glaubte, den Widerschein all dessen in seinen Augen zu sehen, das Verwirrende an diesem Erkennen, die Unsicherheit, die es hervorrief, das Heil, das es bedeuten konnte.
Auch er hatte Fürsorge für sie aufgebracht. Und so berührte sie ihn jetzt bewusst und absichtlich. In diesem Augenblick des Einvernehmens legte sie ihm sanft und beruhigend die Hand auf die Brust. Er lächelte matt und schloss die Augen.
Da erhob sie sich und schritt leise zum Rand des Bodens. Dort ging sie in die Hocke. Beugte sich vor, wagte ein leises Räuspern und flüsterte, indem sie einen Fuß auf die oberste Sprosse der Leiter setzte: „Bitte erschrick nicht!“
„Huch!“, erschrak die Magd und ruckte den Kopf zu ihr hoch.
Hedwig stieg nicht weiter, sondern hielt ihr die freie Hand hin und bat: „Bitte, lauf nicht fort, ich muss mit dir reden!“
Die Magd war aufgesprungen, sie sah zur Tür, dann wieder zu ihr.
„Bitte!“, flehte Hedwig noch einmal. „Ich bin Magd wie du, ich brauche deine Hilfe, hör mich an!“
Zweifelnd war der Blick des Weibes. Aber glücklicherweise schrie sie nicht. „Hast du dort oben genächtigt?“, fragte sie.
Hedwig nickte. Sie stieg eine weitere Sprosse hinab – da meldete Juli sich zu Wort. Sie war wach, sie war allein – sie begann zu wimmern, dann zu greinen.
„Du hast ein Kind da
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