Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
oben?!“
„Um der Barmherzigkeit willen, bleib, lass es mich holen.“ Sie wartete die Antwort nicht ab, kletterte wieder hinauf auf den Boden.
Ryss hatte sich Juli nähern wollen, doch da er schwach war und zudem keinen Lärm machen wollte, hatte er es nicht bis zu ihr geschafft. Als Hedwig auftauchte, lag er bäuchlings etwa eine Körperlänge von seinem ursprünglichen Platz entfernt und streckte den Arm nach dem Kind. Sie eilte zu Juli, nahm sie auf und flüsterte beschwichtigend mit ihr. Sie ging zum Kopf der Leiter und schaute hinab. Die Magd stand am Fuß der Leiter und schaute nach oben. Juli greinte. Hedwig setzte sich, die Füße auf der obersten Sprosse, und wiegte Juli, während sie auf sie einmurmelte. Sie bemerkte, wie die Magd zur Tür sah.
„Eine Bitte um Vorsicht dürfte sich nun erübrigen“, sagte Hedwig. „Sicher hört man sie auch im Haus.“
„Du hast doch nichts angestellt?“
„Nein“, antwortete Hedwig. „Im Gegenteil. Du musst mir zuhören.“ Sie kletterte langsam hinab, hielt Juli im Arm und suchte mit der freien Hand Halt an den Sprossen.
Unten angelangt wich die andere einen Schritt Richtung Tür zurück, betrachtete jedoch sie und Juli neugierig. Hedwig trat an die erste Kuh heran, hielt Juli so, dass sie das Tier anschauen konnte, was Juli erwartungsgemäß gefiel. Sie machte große Augen und beruhigte sich.
„Die ist ja herzig“, sagte die Magd lächelnd. Sie schien doch älter zu sein, als Hedwig zunächst gedacht hatte. So alt wie Ryss etwa, einige Jahre über die Zwanzig vielleicht.
„Ja“, freute sich Hedwig.
Sie beide betrachteten Juli, die sich auf Hedwigs Arm glucksend auf und nieder bewegte.
„Ich muss sie frisch machen“, begann Hedwig. „Ich bräuchte warmes Wasser, und wenn ihr mir etwas Leinen verkaufen könntet?“ Hedwig unterbrach sich und sah die andere an.
„Du hast wirklich nichts angestellt?“, fragte diese noch einmal.
„Wirklich nicht“, beteuerte Hedwig. „Wenn ich dir erzählen dürfte, was mir widerfuhr?“
Die Magd nickte.
„Es mag vielleicht unglaubwürdig klingen, doch bitte, versuch mir zu glauben, denn ich spreche die Wahrheit. Ich wurde entführt.“ Und sie erzählte in raschen Worten, wie man sie am Martini-Abend betäubt und aus Heidelberg fortgeschleppt hatte, sie erzählte von der Hütte im Wald und dem Kampf der beiden Männer, der zum Tod des einen Mannes geführt hatte. Sie berichtete, wie Ryss aufgetaucht war und wie sie mit seiner List hatten entkommen können. Und dass sie seither verzweifelt durch den Wald irrten in der Hoffnung, auf ein Dorf zu stoßen, was nunmehr endlich geschehen sei. „Und jetzt“, schloss Hedwig, „bin ich in Sorge, ob die Schelme auch bei euch waren, um mich und den Wandermedicus schlechtzumachen, denn wenn dem so ist, glaubst du mir womöglich nicht.“
Sie hatte ihr zugehört. Lediglich Ausrufe des Entsetzens waren ihr zwischendurch über die Lippen gerutscht. „So nennst du ihn“, murmelte sie. Dann deutete sie zum Heuboden. „Er ist also auch hier?“
Hedwig nickte. „Und, gutes Weib, er ist verletzt.“ Hedwig nahm Juli auf die andere Seite. „Unsere Verfolger fanden uns, nicht unweit von hier, und es kam zum Kampf.“ Hedwig schilderte, was sie von Ryss darüber wusste.
„Gutes Weib“
, machte die Magd sie nach. „Du tischst mir ganz schön was auf!“
„Es ist die Wahrheit!“
„Die ich dir aus einem einzigen Grund glaube: Weil vorgestern zwei Männer hier waren und nach euch forschten. Und glaub mir, sie hatten eine andere Bezeichnung für den Mann, der mit dir zieht, und sie fragten auf eine Art, bei der Misstrauen stets ratsam ist. Obrigkeit und Macht! Auch wenn ich ihnen nicht glaubte, dass sie im Auftrag Friedrichs unterwegs waren, da sie seine Farben nicht trugen. Aber gleich in wessen Namen, besser, unsereins nimmt sich vor solchen Herren in Acht.“
„Sag“, begann Hedwig zögerlich. „Der eine hat rotes Haar und einen roten Kinnbart, der andere …“
„… trägt das Haar kurz geschoren, der Oberlippenbart und der dünne Kinnbart sind dunkel.“
Hedwig biss sich auf die Unterlippe. Sie nickte. Und gleichzeitig fiel ihr ein Stein vom Herzen. Sie war an die Richtige geraten, ihr Schritt war recht gewesen! Dankbar fragte sie: „Und dein Herr, wird er gewillt sein, uns zu helfen?“
„Mit dem kann ich reden“, antwortete die Magd. „Die Nächstenliebe gebietet, dass man euch beisteht.“
„Willst du mir deinen Namen
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