Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Misstrauen kannte er sich aus. Dem wusste er zu begegnen. Jeden Zweifler –
o’r Mawredd
, und auch jede Zweiflerin – packte er bei seiner Eigenart und gewann ihn damit meist. Dafür hatte er inzwischen hinlänglich Gespür entwickelt.
Es war daher nicht schwer gewesen, an Rotnases Geilheit zu rühren und ihm mithilfe einiger Mittelchen noch größere Wonnen zu versprechen. Es war klar, dass er nicht so gut im Saft stand, wie er wollte. Wäre er fähig, das junge Weib zu besteigen, hätte er es getan. Es war möglich, dass es mit seiner Blase zu tun hatte. Seit der andere fort war, war Haudrauf nun schon das dritte Mal austreten. Und jedes Mal, wenn er in die Hütte zurückkam, sah er noch unwirscher drein. Ryss vermutete, dass er Schmerzen beim Wasserlassen hatte. Eine Blasenentzündung? Blasensteine? Eine Eiterung am Gemächt? Was auch immer es war, es konnte ihm dienlich sein, er musste nur noch ein wenig überlegen.
Dann war da das junge Weib. Er hatte zunächst geglaubt, sie sei eine Magd, der Rotnase ein Kind gemacht hatte. Obwohl ihn wunderte, dass er sie mit sich herumschleppte, noch dazu mit einem Säugling. Das diabolische Spiel, das er mit ihr getrieben hatte, hätte dies vielleicht bestätigen können. Bis sie zu schreien angefangen und ihm jenen Blick zugeworfen hatte, der ihn um Hilfe anflehte.
O’r argol
, ausgerechnet ihn, er hatte es ja gewusst, besser man mischte sich nicht in fremde Angelegenheiten. Denn so, wie es aussah, hatten die Schelme das junge Weib entführt und erpressten Lösegeld. Was ihn daran allerdings verwunderte, war, dass das Weib die einfache Gewandung einer Magd trug. Und wie passte es zu dem, was er zu tun gezwungen war? Etwas in einem wichtigen Buch ausradieren. Er sollte unkenntlich machen, löschen. Nur was? Wer waren Haudrauf und sein Kumpan? Gewandung und Stiefel aus Leder, die Stulpenhandschuhe mit Verzierungen an den Aufschlägen. Und draußen hinter der Hütte stand ein weiteres Pferd, dessen Zaumzeug und edle Eigenart ihm sagten, dass er es hier nicht mit Straßengesindel zu tun hatte.
Was nun?
Ryss überlegte, während er Kreidestaub mit Wasser zu einer Paste verrührte, die er auf die radierten Stellen im Buch streichen wollte. Dadurch sollte das aufgeraute Papier geglättet werden. Rotnase hockte in drei Schritt Entfernung auf dem Faltstuhl und schnitzte an einem Ästchen, hatte dabei jedoch, dessen war er sich gewiss, ein wachsames Auge auf ihn. Das Mädchen kauerte in seiner Ecke und gab keinen Laut mehr von sich. Das Mädchen. Vielleicht gehörte sie einem Widersacher seines Gastgebers, den man mit ihrer Entführung zu etwas pressen wollte? Was, wenn er selbst das Geld dafür einstrich, wenn
er
sie zurückbrachte? Wäre nur gerecht, immerhin hatte er Ausfälle durch diesen erzwungenen Aufenthalt hier.
„Warum grinst du so blöd vor dich hin?“, riss Rotnases Schnarren ihn aus seinen Überlegungen.
Damo
.
„Versuch bloß keine krummen Sachen!“
„Nun, ich dachte an …“ Was nur? An was? Rasch, Antwort, rasch! Und sie kam: „Mir stand die Kraft und Ausdauer vor Augen, mit der Ihr …“ Ein Kopfrucken in Richtung des Mädchens, Ryss legte einen buhlerischen Ton in seine Stimme und schloss: „Mein Elixier wird Euch begeistern.“
Rotnase lachte scheppernd. „Furzgesicht, du überraschst mich. Dann sieh zu, dass du vorankommst!“ Er deutete mit dem Ast auf den Tiegel mit der weißlichen Paste.
Ryss nickte folgsam und rührte weiter.
Wo war er stehen geblieben?
Ah, das Mädchen. Lösegeld. Einkommen. Gute Aussichten. Damit konnte er sich sogar ein Zimmer leisten und war nicht auf Stallecken und Mägde angewiesen. Obwohl, die Mägde … Nun, gleich, das eine schloss das andere nicht aus. Allerdings … müsste er das Weib ja mitnehmen. Davon abgesehen, dass ein Entkommen, vor allem ein
Voran
kommen, allein zweifelsohne Erfolg versprechender war, hatte er sie dann an der Backe. Und einen Säugling noch dazu.
O’r Mawredd
! Wollte er das auf sich nehmen?
Nein.
Er musste aus dieser Hütte verschwinden, und das gelang besser ohne sie. Einer allein konnte sich einen Schlupfwinkel suchen, zumal die Nacht dabei behilflich war. Sah man vom Schnee ab, der die Dunkelheit in einen milchigen Schimmer hüllte, konnte man – ein Loblied auf schwarze Mäntel – gänzlich mit den Schatten der Finsternis verschmelzen. Aber zwei? Ein Säugling dazu, zu dessen Natur es gehörte, alle naslang zu plärren? Noch vor dem Morgengrauen hätten sie ihn und das
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