Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Mädchen wieder eingefangen. Da konnte er ebenso gut in der Hütte bleiben. Aber wer wartete schon brav darauf, kaltgemacht zu werden? Wohl keiner, der nicht gerade in einem Gefängnisturm saß und seiner Hinrichtung harrte. Da es das Schicksal bisher gut mit ihm gemeint und ihn vor solchem Ungemach verschont hatte, sah er keinen Grund, es herauszufordern. Er musste hier weg.
Und zwar ohne das Mädchen.
Was ging sie ihn letztlich an? Rotnase und sein Kumpan würden sie gegen einen Geldsack tauschen, womöglich kam sie nicht ohne Schaden davon, so war es eben, er hatte nichts damit zu schaffen.
„Hast du’s bald?“, störte Rotnase erneut seine Gedanken.
Ryss nickte und beeilte sich, die Paste vorsichtig auf das Papier aufzutragen.
Der Kerl erhob sich ächzend, sah ihm einen Augenblick zu, warf einen finsteren Blick in die Ecke zu dem jungen Weib, sah wieder ihn an. Er wandte sich zur Tür.
„Bringt Schnee, wenn Ihr kommt zurück.“ Ryss deutete auf einen ausgebeulten Topf, der schief auf einem Dreibein neben der Feuerstelle hing. „Ich brauche heißes Wasser für die Kräuter.“ Der Haudrauf blickte verdutzt. „Für den Aufguss – Euer Kraftmittel!“, erklärte er.
Rotnases Gesicht hellte sich etwas auf, als er begriff, er grapschte sich an die Braguette, nahm schließlich den Topf und verschwand.
Eine Bewegung, ein Schatten, ein Lufthauch, Ryss zuckte zusammen, als das Mädchen plötzlich neben ihm stand.
„Bitte!“, flüsterte sie. „Tut das nicht! Um der Güte willen, liefert mich ihm nicht aus. Bitte!“
Sie schien auf diesen Augenblick gelauert zu haben. Ihre Augen schimmerten dunkel und tränenfeucht im Lichtschein. Sie war tatsächlich überaus jung. Auch ansehnlich, mit glatter Haut, einem kleinen runden Mund und dunklem, geflochtenem Haar, das unter einer wollenen Haube hervorlugte. Sie hielt ihr Kind im Arm, das zuerst freundlich, dann besorgt dreinblickte. Sicher würde es gleich zu weinen anfangen.
„Maid, ich …“
„Ich wurde gestern Abend hierher gebracht und weiß nicht warum. Wir haben kein Geld. Wenn Ihr ihm das Mittel gebt, wird er … werde ich … Oh bitte, tut das nicht! Helft mir.“
Draußen vor der Hüttentür hörte man ein Schaben, begleitet von einem Ächzen. Der Kopf des Mädchens ruckte zur Tür, dann wandte sie sich wieder ihm zu, flüsterte eindringlich: „Sie werden auch Euch nicht am Leben lassen. Ich las es in ihren Blicken. Wir sollten zusammen fliehen.“
Dumpfes Poltern an der Tür.
Ryss sah die Angst in ihren Augen, als sie leise sagte: „Bitte! Helft mir!“
Die Tür ging auf.
Ein Lufthauch, ein Schatten, sie zog sich zurück. In seiner Nase blieb der Geruch nach … einer ihm unbekannten Süße, nach Milch, Angst und ein bisschen nach Kinderkacke.
„Was habt ihr zu tändeln?“, polterte Rotnase und stürzte auf das Mädchen zu, den schneegefüllten Topf in der Hand. Ryss drehte sich um, wollte etwas sagen, da antwortete sie bereits mit gesenktem Haupt, das Kind fest an den Busen gepresst: „Vergebung. Ich konnte nicht mehr still sitzen, musste mir ein wenig die Beine vertreten, bitte, nichts weiter.“
„Gebt nichts auf sie“, sagte Ryss. „Reicht mir den Topf.“
Rotnase blickte verdutzt auf das Gefäß in seiner Hand, als könne er nicht glauben, dass er Ryss’ Anweisung tatsächlich gefolgt war und es gefüllt hatte. Voll Widerwillen reichte er es weiter.
Das Mädchen machte einen Schritt weg aus seiner Reichweite, er setzte ihr nach, packte sie am Arm. „Dir zeig ich’s schon noch!“ Und er lachte dieses widerliche Lachen, das Ryss an Kettengerassel erinnerte und ihn zutiefst anwiderte.
„Es muss trocknen“, sagte Ryss und wies auf das Buch. „Derweil wir mischen Euren Trank.“ Er setzte den Topf auf das Dreibein und stellte es in die Feuerstelle. Kleine Schneeklumpen fielen zischend in die Flammen.
Rotnase wandte sich ihm zu. Auf seinem Gesicht lag Argwohn. Als wäre er, Ryss, ein räudiger Wolf, der ihn jeden Augenblick anzufallen drohte oder, schlimmer noch, als wäre er eine verlauste Missgeburt, die ihm an die Kehle wollte.
Er zwang sich zu einem Lächeln, halb entschuldigend, halb gewinnend.
Haudrauf kam heran. Nah. Noch näher. Ryss schluckte, ließ das Lächeln nicht.
„Für wie blöd hältst du mich? Weiß der Teufel, was du alles zusammenrührst, um mich zu vergiften!“
Ryss gab sich empört. „Ich wollte sein behilflich.“
„Niemand will einfach so behilflich sein. Du führst etwas im
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