Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
abkaufte. Er war ein Schwätzer, ein Aufschneider, ein Schwindler. Das war nur allzu deutlich. Vor so einem nahm man sich besser in Acht. Nur – wie gelangte er in diese Hütte? Und wo lag diese Hütte? Wenn er sie gefunden hatte, warum fanden andere sie nicht? Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit ihn die Widerlinge vor ein großes Buch genötigt hatten und ihn zwangen, darin irgendeine Veränderung vorzunehmen? Zeit genug jedenfalls, so stellte Hedwig erstaunt fest, um zu bemerken, wie sich die schreckliche Angst auf eine Art beruhigte, die ihr Herz nicht mehr wie einen ins Netz gegangenen Fisch zappeln ließ. Mit dem schwarzhaarigen Fremden war Hoffnung in die Hütte geflattert. Sie war nicht mehr allein. Es war eigenartig, er war ja nicht vertrauenswürdig, doch war auch er nicht freiwillig hier. Er tat das, was sie von ihm verlangten, unter Zwang.
Still saß sie an die Hüttenwand gepresst, Juli im Arm, fuhr mit der Zunge über die wulstige Stelle, wo sie sich in die Wangenfalte gebissen hatte, und sann darüber nach, ob es einen Ausweg geben könnte. Die Männer hatten gesagt, sie ließen ihn gehen. Vielleicht, ja vielleicht wäre es ihm möglich zu verlangen, dass man sie ebenfalls gehen ließe?
Schlagartig verging diese Hoffnung, da ihr klar wurde, dass der Fremde sie den Männern zugehörig wähnen musste. Kein einziges Mal hatte er hergesehen. Er hatte sie überhaupt nicht beachtet. Er würde seinen Handel mit den beiden abschließen und froh sein, von dannen ziehen zu können. Die Verzweiflung kehrte zurück. Aussichtslos. Es war gänzlich aussichtslos. Tränen schossen ihr in die Augen, die umso heißer waren, da zuvor der Glaube an eine Wendung in sie geflossen war wie ein kräftigender Trank.
Bitte, gnädiger Gott, betete sie still, hilf mir. Rette mich und meine Tochter, lass mich nicht allein. Verzagt äugte sie hinüber zur Feuerstelle. Der Fremde kniete vor dem Buch, das auf dem Baumstumpf lag, und hantierte schweigend mit einem Gegenstand auf der Seite, während die beiden Schurken seitlich hinter ihm standen und sich leise unterhielten. Ihre Mienen waren finster. Vorne neben der Tür lag noch immer der Tote. Hedwig schaute sogleich wieder weg, es machte sie zu bang und ekelte sie zu sehr.
Drüben am Feuer regte sich etwas, der Fremde seufzte mit einem Mal tief, ließ die Luft mit einem Brummton fahren, der Erschöpfung anzeigte. Hedwig hob den Kopf nur so weit, dass sie unauffällig hinsehen konnte. Der Schwarzhaarige streckte beide Arme nach oben, lehnte sich zurück, reckte sich. Die beiden drehten ihm die Köpfe zu. Er verschränkte die Hände im Nacken und sagte mit Blick auf die Buchseite vor sich: „Das war Arbeit. Etwas zur Stärkung, das die Herren mir können anbieten?“ Er sprach leise und rollte das R, es klang kehlig und ein kleines bisschen herausfordernd.
Sie nahm die rasche Bewegung wahr, mit der der Anführer dem Rothaarigen in den Arm fiel und ihn daran hinderte, dem Fremden für seine freche Frage eins überzubraten. Ein unwirsches Knurren war die Antwort, der junge Mann schien es nicht zu bemerken. Er erhob sich und ging umher. Die beiden Männer betrachteten das Buch. Hedwig äugte zu dem Fremden hin. Er war schlank, dünkte sie etwas älter als Philipp und nur wenig kleiner als dieser. Seine schwarzen, fast schulterlangen Haare waren wellig, und er war bartlos. Er kreiste den Kopf im Nacken, lockerte die Arme, schüttelte die Beine. Dabei sah er nach oben, nach unten, zur Seite – nur in ihre Richtung sah er nicht. Ginge es nach seinem Gebaren, so war sie wohl unsichtbar. Zuerst entmutigte sie das. Dann ärgerte es sie. Er müsste sie doch einmal zur Kenntnis nehmen! Er hörte mit seinem Gezappel auf und trat zum Baumstumpf.
Der Anführer hielt ihm einen Trinkschlauch hin.
Der Schwarzhaarige zog den Pfropfen vom Mundstück, streckte den Arm und zeigte mit dem Trinkschlauch auf das Buch. „Schönschrift und Sorgfalt, gut lesbare Buchstaben …“ Er unterbrach sich und trank.
Hedwig konnte sein Gesicht nicht sehen, da er ihr den Rücken zuwandte, doch wieder klang sein Tonfall so, als würde er sacht mit dem Fehdehandschuh winken. Er setzte den Schlauch ab, drehte den Männern den Kopf zu. „Hier wird gelegt großer Wert auf saubere äußere Form. Ich hoffe, ich kann sie erhalten.“ Er wandte sich von den beiden ab, sagte: „Muss pissen“ und ging zur Tür.
Sie sah den Blick, den die Kerle miteinander wechselten.
Sie hatte keine Worte für das, was
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