Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
woraufhin diese nur umso heftiger schrie.
Mit einem Ruck drehte er sich zu ihr um. „Aber was tut Ihr? Kommt zu Euch!“
Schon öffnete sie den Mund für eine grobe Entgegnung, doch die Besorgnis in seinem Ton ließ sie betroffen schweigen. Sie biss sich auf die Unterlippe, streichelte Juli versöhnlich über den Rücken.
Nach einigen Schritten gelangten sie zu einer Stelle, an der die Bäume tatsächlich etwas enger standen. Ein abgespaltener Ast lag am Boden, auf den sie sich setzen konnte, nachdem er mit seinem Stock rasch den Schnee heruntergefegt hatte. Er legte Schuhe und Buch ab und ließ seinen Rucksack unter dem Umhang hervor auf die Erde gleiten. Dann verschwand er aus ihrem Blickfeld.
Das war mehr Rücksicht und Fürsorge, als sie von ihm erwartet hatte. Sie schämte sich, so aufgebraust zu sein. Sie öffnete ihre Kleidung und gab Juli die Brust.
Knirschen im Schnee ließ sie zusammenzucken. Sie war eingeschlummert. Ihre bloße Brust war eiskalt. Sie hatte Juli die zweite Brust gegeben, und ihre Tochter hatte sich, nachdem sie satt gewesen war, einfach weggedreht und war eingeschlafen. Sie selbst ebenso. Rasch schnürte sie Hemd und Wams zu. Der Fremde kam heran.
Hedwig sah zu ihm empor.
Er deutete mit dem Kopf über die Schulter in den Wald hinter ihnen. „Es gibt kleine Felsen, die bieten Schutz. Wir ruhen dort ein wenig. Ihr seid müde. Ich bin es auch.“
„Gut“, nickte sie. Sie fror, das lange Sitzen hatte sie steif und kalt gemacht.
Er packte seinen Rucksack und das Buch, überließ ihr die Stiefel und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Nach etlichen Minuten hatten sie die Findlinge erreicht. Sie waren kaum mannshoch, moos- und schneebedeckt, doch sie bildeten ein Viertelrund, an dessen Seite man halbwegs geschützt rasten konnte. Sofern es nicht schneite. Oder regnete.
„Wir machen kein Feuer, das ist weithin sichtbar, auch im Wald“, hörte sie ihn sagen. „Es muss gehen ohne.“
Er hatte den Schnee flach getreten und ihn ringsum ein wenig angehäuft. „Ich danke Euch“, sagte Hedwig. Sie dachte daran, dass sie die Decke aus der Hütte hätte mitnehmen sollen. An das neue Wolltuch
hatte
sie gedacht. Sie hatte das blutdurchtränkte Stück abgeschnitten und Juli in den sauberen Rest gehüllt.
„Wir ruhen, dann wir gehen weiter“, erklärte der Fremde.
„Wisst Ihr denn, in welche Richtung?“, fragte sie.
„Ich mich hielt an die Wegstrecke, die ich kam. Auch wenn das kaum möglich ist im Wald und bei Nacht.“
„Ihr kamt von Heidelberg?“
„Ja.“
Sie ließen sich nieder. Er saß neben ihr, sie nahm den Woll- und Rauchgeruch wahr, der seinem feuchten Umhang entströmte. Und noch etwas roch sie. Minze? Anis? Ein Duft nach getrockneten Kräutern ging von ihm aus, wie sie ihn von früher von Tante Barbaras Küche kannte, wo überall Kräuterbündel zum Trocknen gehangen hatten. War es all das Zeug in seinem Rucksack, das so roch, oder war der Geruch schon auf ihn übergegangen und haftete an ihm? Unwillkürlich fragte sie sich, wie sie wohl roch, ungewaschen, nach Angst und Schweiß und ein bisschen süßlich nach der Milch, die ihre Brüste schwellen ließ. Sie kreuzte die Arme vor der Brust und sagte: „Dort muss ich hin. Wir wohnen in Heidelberg.“
Weil er nichts entgegnete, fragte sie: „Und Ihr?“
„Ich?“
„Wo lebt Ihr? Ihr hattet in Heidelberg zu tun und seid nun auf dem Heimweg?“
„Ich hatte zu tun in Heidelberg und reise nun weiter.“
Das klang so betont abweisend und abschließend, dass sie nicht weiter zu fragen wagte und sofort die leise Furcht wiederkehrte, mit wem sie es hier wohl zu tun hatte. Keine Frage, unter seinem begleitenden Schutz zu stehen war allemal besser, als allein durch die Nacht zu irren. Dennoch würde sie schnellstmöglich von ihm Abschied nehmen, sobald Heidelberg in Sicht kam.
„Hört zu“, ergriff er das Wort. „Ihr lebt hier, Ihr kennt Euch aus. Ich bringe Euch zu einem Gehöft. Jemand soll Euch geleiten zurück nach Heidelberg.“
„Ich kenne mich nicht aus“, antwortete sie kleinlaut.
Er drehte ihr den Kopf zu.
Rasch erklärte sie: „Ich komme aus einem Dorf südlich von Heidelberg und zog mit meinem Ehemann in die Stadt. Hier leben wir noch nicht lange. Ich war noch nie in den Wäldern.“
Sie hörte, wie er Luft ausstieß. „Damo!“
Was immer das hieß, es hörte sich nicht nett an. Die Wut wallte von Neuem in ihr empor.
„Ich will mich wahrlich nicht aufdrängen, dennoch könntet Ihr ein wenig mehr …
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