Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
ein solches Ereignis die Menschen in Scharen strömen ließ. Einritte, Aufmärsche und Festivitäten gab es seit dem Regierungsantritt Friedrichs IV. vor drei Jahren zur Genüge – und das Volk liebte es. Auch wenn es sich die Mäuler darüber zerriss, wie teuer all die kostspieligen Feste oder Schauessen waren, so war man doch gemeinhin stolz auf seinen Landesfürsten, der sich damit den anderen Fürsten ebenbürtig zeigte, denn all das hob den Reichtum des Gastgebers hervor. Und es gehörte nun einmal zu den wichtigsten Pflichten eines Herrschers, Macht und Reichtum zur Schau zu stellen.
So war es nicht verwunderlich, dass es die Leute in die Stadt trieb, um der Belustigung beizuwohnen. Männer und Weiber drängten um einen Stand, wo heißer Würzwein ausgeschenkt wurde. Verschütteter Rebensaft färbte den Schnee rosarot. Die Luft über dem Gluttiegel flimmerte, Rauch kringelte sich in grauen Fähnchen empor. Immer dichter wurde die Ansammlung der Menschenleiber, immer durchdringender roch es nach feuchtem Wolltuch, nach Rauch und Bratenfleisch und heißem Fett. Sie mussten aufpassen, sich nicht zu verlieren, kamen nur in Halbschritten voran. Blieben schließlich stehen, weil kein Durchkommen mehr war. Vor ihnen wurden Rufe laut, schoben sich die Leiber auseinander, jemand rief „Umkehren“, ein anderer „Abgesperrt“.
„Was ist da los?“, fragte Gundel und sah ihn an.
Matthias zuckte die Schultern.
Da kollerten und rumpelten ihnen die Menschen entgegen, ein Wasserträger mit zwei Eimern an Ketten am Tragholz drohte umgerissen zu werden, er konnte gerade noch fluchend zu den Hauswänden hin ausweichen. Ein Bauer mit kieselgrauem Bart, den tönernen Becher schwenkend, erklärte lauthals und sichtlich stolz, weil er Bescheid wusste, dass es vorne bei der Einmündung der kleinen Kettengasse ein Unglück gegeben habe. Ein kümmerliches Fuhrwerk habe, wohl weil der Gaul gerutscht war und scheute, ein größeres mit Fässern gerammt, die Gäule seien gestiegen, der des kleineren Karrens habe sich gar ernsthaft verletzt, als er auf das andere geprallt sei, die Fässer hätten sich gelöst, eine rote Brühe färbe den Schneematsch auf dem Pflaster – wie jammerschade um den guten Wein! –, auf dem die Leute schließlich ausgerutscht und hingefallen seien. Man könne nicht weiter, Fässer und Menschen lägen in einem wilden Sudel durcheinander, Stadtbüttel seien bereits dort und sperrten ab. „Zurück, Leute, zurück, nehmt die Untere Gasse zum Marktplatz!“ Der Bauer hielt den Becher wie eine Standarte und schritt wackelig aus. Wahrscheinlich fühlte er sich wie ein Feldherr, der seine Mannen aufruft, ihm zu folgen, so hatte es den Anschein, bei dem gewichtigen Gesicht, das er machte.
Demgemäß sammelte Matthias die Seinen mit den Blicken, es blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als dem Strom zu folgen, der sie zurück Richtung Mitteltor drängte. Männer, Weiber, Groß und Klein rempelten, lärmten und polterten die Hauptstraße entlang, um vor dem Tor rechts hinunter auf den Heumarkt abzubiegen und dann der Unteren Gasse bis zu Heiliggeist und dem Marktplatz zu folgen. Matthias hielt auf den Brunnen am Heumarkt zu, schaute sich um, ob die Seinen ihm folgten.
„Ihr könnt ja auch unten herum zum Belierschen Haus gelangen, Frau Großhans“, sagte Lehrer Baumann.
„Ich weiß“, nickte Gundel.
„Mir fällt nur eben ein, Weib, dass Hedwig möglicherweise ebenfalls dem Einmarsch zuschaut. Sie ist vielleicht gar nicht da.“ Nachdenklich rieb Matthias sich übers Kinn. „Wir kehren die Reihenfolge um. Dann eben zuerst Tatar, und wenn der weiterzieht zum Schloss, gehen wir zum Belierschen Haus.“ Er sah das enttäuschte Gesicht Gundels und setzte nach: „Niemand lässt sich das heute entgehen, erst recht nicht, wenn man so nah dran ist wie Hedwig.“
„Los!“, forderte Michel ungeduldig. „Vielleicht treffen wir sie zufällig.“
Matthias legte den Arm um Gundels Schulter, rüttelte sie sanft. „Ich will sie doch auch sehen, aber du musst zugeben, dass es wahrscheinlich ist, dass sie augenblicklich gar nicht da ist.“
Gundel nickte ergeben, Michel schlitterte schon los, johlend folgten David und Sebastian. Also stapften sie durch den von zahllosen Füßen zu Matsch zertrampelten Schnee weiter. Auch hier in der Unteren Gasse waren die Stände, an denen Würzwein und Wecken umsonst ausgegeben wurden, von Menschentrauben umringt. Jauchzend schwenkte man die mit den blauweißen Wittelsbacher
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