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Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Klaus
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welche Tiere es dort gab und weshalb er von dort fortgegangen war. Doch ein plötzliches Geräusch ließ sie erschrocken zusammenzucken. Mit lautem Flügelklatschen flog eine Taube auf, das Blut wollte ihr in den Adern gefrieren! Das Hu-huu-hu-huhu der Taube ertönte über ihrem Kopf, wütend hob sie den Blick. Auch der Fremde – Ryss vielmehr – blieb stehen und sah nach oben. Kurz verfolgten seine Augen den Flug der Taube, dann sah er sich nach ihr um und ging schließlich weiter.
    Dummes Tier! Ihr wäre fast das Herz stehen geblieben. Zum Glück schlief Juli. Womöglich hätte sie angefangen zu weinen vor Schreck.
    Hedwig tappte weiter. Schnee und Unterholz. Wie spät es wohl sein mochte? Sie hatte jegliches Gefühl dafür verloren, auch Juli war außer der Reihe, sodass sie sich nicht danach richten konnte, wann ihr Kind hungrig war. Sie hoffte, Ryss möge recht haben mit seiner Vermutung, dass sie nahe einem Gehöft waren. Sie musste etwas essen. Ihren Durst hatte sie zuvor mit Schnee gestillt, der kalt in ihrem Magen gelegen und das Hungergefühl erst einmal vertrieben hatte. Doch jetzt kam es wieder, und sie merkte, dass es sie schwach machte. Trotz aller Entbehrungen, denen ihre Eltern, die Bauern waren, durchaus hin und wieder ausgesetzt gewesen waren, wenn die Ernte schlecht ausfiel, hatte sie nie Hunger leiden müssen. Etwas hatte es immer gegeben. Und seit sie mit Philipp in Heidelberg lebte, ging es ihr bestens. Sie aß im Hause Belier, Wittib Ringeler versorgte sie zweimal die Woche mit warmem Essen, und oft genug hatte ihre Vermieterin im Spätsommer augenzwinkernd Apfel- oder Zwetschgenkuchen nach oben gebracht. Täglich war Markt in der Residenzstadt, Brezeln, Birnen, Würste und Wecken – es gab nichts, was man nicht haben konnte. Dachte sie jetzt daran, lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
    Ryss blieb plötzlich stehen und hob einmal mehr warnend den Arm, lauschte – nein, wieder kam es ihr so vor, als nähme er Witterung auf. Wieder hörte sie ihr Blut in den Ohren rauschen in der plötzlichen Stille, da das Knirschen ihrer Schritte verstummte. Sie blickte sich unwillkürlich um. Linker Hand ging es hügelan. Felsiges Gelände, blanker Stein, auf jener Seite schneebedeckt, auf welcher der Wind die Flocken auf den Fels geweht hatte. Daneben und dahinter war es noch unwegsamer als hier, wo sie geraume Zeit schon gingen. Gestrüpp, zu Boden gestürzte Äste. Hedwig sah über die Schulter zurück. Lichter Wald, Birken, Eiben, Buchen, dazwischen Hecken und Unterholz. Sie sah die Spuren im Schnee, die sie und Ryss gestapft hatten. Es waren nicht die einzigen. Wildspuren, Verwehungen, der Schnee sah nicht jungfräulich aus.
    „Etwas ist da unten“, murmelte er und drehte sich zu ihr um.
    „Unten?“
    „Es scheint, es gibt eine Senke.“
    „Was hört Ihr?“, flüsterte sie.
    „Ein Summen. Wie …“ Er wiegte Arm und Hand in der Luft. „Wie Wellen aus Klang? Etwas sich unterscheidet von den Geräuschen, die umgeben uns. Und da ist wirklich Rauch.“
    „Wie könnt Ihr das alles bemerken? Ich rieche noch immer keinen Rauch.“ Sie sprach leise, trat näher an ihn heran.
    Er zuckte die Schultern, schwerfällig wie eine Holzfigur mit seinem Rucksack-Buckel. „Übung.“ Nachdenklich strich er sich übers Kinn, und ihr fiel auf, das sich ein Bartschatten darauf abzuzeichnen begann. „Eine Gabe“, fügte er hinzu. Dabei lächelte er, und es dünkte Hedwig wie ein entschuldigendes Lächeln.
    Sie lächelte zurück. „Nun, dann sollten wir uns vorsichtig nähern und schauen, ob wir auf Hilfe hoffen dürfen oder uns in Acht nehmen müssen. Was meint Ihr?“
    Nickend drehte er sich um und ging weiter.
    Er war wirklich absonderlich. Aber er war nicht mehr schroff – und sie merkte, dass sie das freute. Noch etwas nahm sie wahr. Er ging leise, kein Ästchen knackte unter seinen Sohlen, kein Keuchen drang aus seiner Kehle. War das die ganze Zeit über schon so gewesen? Hatte sie es vor Erschöpfung nur nicht bemerkt oder weil sie so in ihre eigenen Gedanken vertieft gewesen war? Oder hatte das Knirschen ihrer Schritte im Schnee alles andere übertönt? Gleich wie es war, sie gewahrte es jetzt und empfand einerseits Unbehagen, wie er trotz der Lasten geschmeidig wie eine Katze über einen Findling kletterte, sich aus der Hocke zu ihr umdrehte, um ihr die Hand zu reichen, andererseits gefiel es ihr irgendwie, ohne dass sie sagen konnte warum. Das verwirrte sie, und während sie seine Hand nahm, die

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