Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Während der Fremde seinen Zeigefinger in die zerkleinerte Masse tunkte und prüfend auf den Rest im Gefäß schaute, fragte Hedwig sich bang, wann und vor allem womit sie ihr Kind säubern sollte. Ihr Begleiter nickte und streifte das Pulver vom Finger. „Nehmt ebenso viel.“ Damit stand er auf und ließ sie allein.
Hedwig setzte sich auf den Hintern, legte Juli zwischen ihre ausgestreckten Beine und sprach mit ihr, während sie sich frei machte. Schließlich tat sie, wie der Fremde gesagt hatte, stippte den Finger in das Pulver und hielt ihn Juli vors Gesicht. Sie knickte ihn ein, wie er es zuvor getan hatte, und wackelte damit. Juli lächelte, dann lachte sie, weil Hedwig noch dazu Gesichter machte. Sie führte den Finger an Julis winzige Lippen. Erst war Juli überrascht, dann öffnete sie den Mund und saugte daran. Erleichtert nahm Hedwig sie schließlich hoch und gab ihr die Brust.
Später ging sie einige Schritte zur Seite, um sich zwischen Gestrüpp zu erleichtern. Sie war eben dabei, ihre Röcke zu ordnen, als der Fremde zurückkehrte. Er nickte in die Richtung, aus der er kam, und sagte: „Vielleicht ein Hof. Lasst es uns finden heraus.“
Sie nickte zustimmend. Er ging neben seinem Rucksack in die Hocke und warf einen Blick auf Juli, die daneben lag. Juli hatte die Augen geschlossen, ein unschuldiges Säuglingsgesicht. Hedwig bemerkte den warmen Ausdruck, mit dem er ihr Kind betrachtete, und plötzlich wallte etwas in ihr empor, das sie nicht zu deuten vermochte.
„Wie ist eigentlich Euer Name?“, fragte sie.
Er war genauso überrascht von dieser plötzlichen Frage wie sie selbst, sie las es in seinem Gesicht. Dann lächelte er, erhob sich, nahm den Umhang ab. Blickte sie an. „Ryss“, antwortete er schließlich.
Ries? Was war das denn für ein Name? Hedwig fühlte sich verlegen, sagte: „Ich heiße Hedwig.“ Und rasch fügte sie hinzu: „Eichhorn.“
„Gut, Maid Hedwig“, sagte er, während er seinen Rucksack schulterte, „nehmt Euer Kind und lasst uns gehen weiter.“
„Sie heißt Juliana. Wir nennen sie Juli. Weil sie im Juli geboren ist, am gleichen Tag wie Prinzessin Luise Juliana, nur ein Jahr später. Auch die Gemahlin unseres Fürsten heißt so.“
Er legte seinen Umhang wieder an und sagte: „Ein schöner Name.“ Dann sah er auf Juli hinab und ergänzte: „Es wirkt.“
Sie nahm Juli hoch und setzte sie vorsichtig ins Tragetuch. Woher er wohl kam? Diese Färbung in seiner Stimme, die sie schon an jenem Abend gehört hatte, da er im Belierschen Hof gestanden und erst auf Velten und Timotheus, dann auf sie eingeschwätzt hatte. Sie hatte auch Kaufleute derart sprechen hören. Sie nahm ihre Stiefel auf, folgte Ryss und sann darüber nach, dass sie sich früher nie auch nur die geringsten Gedanken darüber gemacht hatte. Man sprach eben, wie man sprach. Doch seit sie in Heidelberg lebte, hatte sich etwas in ihr geregt, von dem sie vorher nichts gewusst hatte. Mit einem Mal schenkte sie den unterschiedlichen fremden Zungen Beachtung. In anderen Ländern sprach man andere Sprachen. Nicht dass sie das nicht gewusst hätte. Doch erst in Heidelberg mit all den fremden Studenten, Magistern, Professoren und Kirchenmännern hatte sie begonnen, sich darüber Gedanken zu machen. Es gefiel ihr. Sie wünschte, sie könnte ebenfalls eine andere Sprache sprechen. Manchmal fragte sie sich gar, wie es in fernen Ländern zuging. Allein was man aus der Neuen Welt hörte! Sie bekam durchaus Angst vor all dem Unbekannten, das ihr zu Gehör kam, und freute sich meist sehr, zu Hause zu sein, wo sie hingehörte. Dennoch gab es da einen Funken in ihr, eine Neugier auf das, was jenseits des kurpfälzischen Territoriums lag. Dieser Funke war es wohl, der sie veranlasste, ihren Mut zusammenzunehmen und zu ihrem Begleiter zu sagen: „Euer Name ist hierzulande ungewöhnlich. Woher kommt er?“
Er gab zunächst keine Antwort, etwas, womit sie gerechnet hatte. Der Schnee knirschte unter ihren Schritten, und sie wollte schon „Dann eben nicht!“ denken, als er kurz den Kopf zu ihr umdrehte und „Wales“ sagte.
Hedwig wusste nicht, wo das war. Wäils. Nie gehört. Sie setzte an zu fragen, als er den Kopf erneut zu ihr umwandte. Er schien damit gerechnet zu haben, denn er erklärte: „Es liegt im Westen Englands.“
„Oh“, machte sie. „Das ist weit weg.“
Er sagte nichts darauf, und Hedwig überlegte, ob sie ihn fragen sollte, wie es in seinem Land aussah, ob es Berge hatte oder flach war,
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