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Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Klaus
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hinten, wie er es gestern Nacht auf der Flucht schon einmal getan hatte. Erschrocken blieb Hedwig ebenfalls stehen, gewahrte ihren Herzschlag, das Rauschen des Blutes in ihren Ohren. Was hörte er? Sie lauschte, wagte kaum zu atmen. Dachte plötzlich daran, dass die Bäume keinen Schutz boten, zu licht standen sie, zu auffällig leuchteten ihrer beider Gestalten trotz des grauen Zwielichts im hellen Schnee. Sie schluckte, schaute unwillkürlich auf Juli, ob sie noch immer schliefe. Ja. Doch das konnte sich jeden Augenblick ändern.
    Der Fremde stand da wie Lots Weib, verharrte ohne eine Regung. Er hielt den Kopf geneigt und mit der Ausbuchtung auf seinem Rücken, die von dem großen Buch unter seinem Arm sowie dem Rucksack herrührte, sah er wie ein buckliger Troll aus, der Witterung aufnahm.
    Hedwig wagte nicht, ihn anzusprechen. Sie hörte mit einem Mal die Geräusche des Waldes, die bisher vom Knirschen ihrer Schritte im Schnee überdeckt gewesen waren: Wind strich durch die Baumwipfel, löste letzte braune Blätter von den Ästen, ließ sie vor ihrer Nase zur Erde wirbeln. Eine Krähe krächzte hoch über ihrem Kopf. Ein Rascheln im Unterholz hinter ihr. Sie ruckte den Kopf herum. Eine Amsel duckte sich und hüpfte davon. Und dann, weit entfernt – Hundegebell! Er sah zu ihr zurück, Erstaunen im Blick.
    „Ein Gehöft?“, wagte sie zu flüstern.
    „Es ist …“, er zögerte, drehte den Kopf wieder nach vorn. Das Bellen kam aus der Ferne rechts vor ihnen.
    „Es passt nicht zu dem, was ich nahm wahr“, sagte er, indem er wieder zu ihr zurücksah.
    Hedwig erinnerte sich, dass er erzählt hatte, das Reisen habe ihm die Sinne geschärft. Stets allein auf Wanderschaft, da müsse man aufpassen in diesen garstigen Zeiten, da Missernten und Seuchen allüberall zu großer Armut führten und damit die Unzahl der Bettler und Landstreicher schlagartig vermehrten. Auf den Straßen, in Dörfern und in Städten herrsche Unsicherheit, und schnell wurde einer wie er als Bedrohung empfunden. Und gleichwohl umgekehrt war einem wie ihm schnell die Kehle durchgeschnitten wegen seines Mantels, seiner Stiefel oder seines Kastens, dessen Inhalt man brauchen oder weiterverkaufen konnte.
    „Was habt Ihr wahrgenommen?“, fragte sie leise, da er nicht erklärte, was er meinte. Eigentümlich, wie er sie ansah. Durch sie hindurch, an ihr vorbei mit starrem Blick wie in der Nacht zuvor schon – und doch hatte sie das Gefühl, dass er ausgefüllt war mit Wachsamkeit und alles an ihr bemerkte, einschließlich Julis Regungen.
    „Rauch. Ein Anflug nur. Und ein … nun, ein Gefühl.“
    „Rauch?“ Hedwig schnupperte in alle Richtungen. Sie roch keinen Rauch. Lediglich den Kräuterhauch, der von dem Fremden ausging.
    „Ihr habt wohl eine gute Nase. Ich rieche nichts.“
    Er zuckte die Schultern. „Von links vorne.“
    „Ein Hof?“, wiederholte sie hoffnungsvoll.
    „Oder ein Lager. Köhler, Räuber, Gesindel.“
    Ein Laut des Erschreckens entfuhr ihr, sie starrte links vor sich. Wind blies ihr kalt um die Wangen, sie krallte die eiskalten Finger um die Stiefel. In das Wispern im Wald mischte sich das ferne Bellen.
    „Und das“, sagte er und meinte das Bellen, „passt nicht dazu. Es kommt von dort.“ Er deutete nach rechts. „Was auch immer ist linker Hand: Es geht wer darauf zu mit Hund. Oder von dort weg. Eher darauf zu.“
    Hedwig war verblüfft, mit welcher Sicherheit er das sagte. Jäh kam ihr ein anderer Gedanke. „Ob sie uns mit einem Hund suchen?“
    Er sah sie an, ausdruckslos, starr. Dann verzog er das Gesicht, wiegte den Kopf nach rechts und links, deutete damit an, dass es möglich sein könnte. „So oder so, wir haben nun eine Laufrichtung: Weg von dem Hund!“
    Hedwig nickte zustimmend und ließ ihm den Vortritt. Bedachtsam, wenn auch mit größerer Eile als zuvor, stapfte er voran.
    Bitte, lieber Gott, betete Hedwig still, lass es ein Gehöft sein. Lass uns Unterschlupf finden. Lass nicht zu, dass die Übeltäter uns aufspüren. Angst machte ihr die Kehle eng. Durst. Sie wollte Schnee greifen, doch dazu hätte sie noch einmal anhalten müssen, und das wagte sie nicht. Da war das Krächzen der Krähe wieder. Es ließ ihre Furcht anschwellen. Schlechtes Omen. Sie wollte nicht daran denken, in welcher Gefahr sie schwebten – und doch kreisten ihre Gedanken unaufhörlich darum. Es war so trostlos in diesem Wald, so kalt und grau, sie wollte hier nicht sterben. Sie wollte überhaupt nicht sterben! Sie wollte auch

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