Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
und beunruhigte, sah er an dessen verzweifeltem Gesichtsausdruck. Er hatte sich wohl jetzt erst getraut, den Mund aufzumachen.
„Sohn“, antwortete er, „wir wissen nicht, was all das zu bedeuten hat. Wir können nur hoffen, dass Philipp erklärt, was vorfiel.“ Er legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. Mehr Trost und Halt konnte er seinem Sohn augenblicklich nicht geben.
Zu dritt drängten sie sich schließlich in Hedwigs und Philipps Bett, das Philipps Stiefvater dem Brautpaar – samt der Leinenwäsche dafür – hatte anfertigen lassen.
Matthias lauschte auf das fremde Knarren im Fachwerk, auf das Trippeln darin, das von einer Ratte herrühren mochte, auf das betrunkene Gezänk, das von der Gasse heraufstieg und das hier in der Schlafkammer, die auf die Gasse hinausging, deutlicher zu hören war als nebenan.
Wo war seine Tochter?
Fünfundzwanzig
Hedwig starrte in das rot glühende Häufchen, als könne sie das Leben des kleinen Feuers damit verlängern. Es war so gut wie niedergebrannt.
Sie dachte daran, dass es im Hause Belier zu Appels Pflichten gehörte, die Feuerstellen mit Asche zu bestreuen, damit nachts kein Feuer ausbrach. Appel. Was gäbe sie jetzt für deren herzliches Lachen. Sie hörte Philipps Stimme, ein tiefes Raunen voller Doppelsinn, wenn er den Gluttiegel mit den glühenden Holzresten ins Schlafgemach trug, um ihnen für später, wenn sie zu Bett gingen,
einzuheizen
. Philipp! Diese Qual im Herzen, ihn in Unkenntnis über ihr Schicksal zu wissen. Wie sie ihn vermisste. Wie sehr sie wünschte, er würde sie aus dieser schrecklichen Lage befreien. Sie hatte solche Angst. Wenn das Feuer erlosch, wäre es stockfinster in ihrem Schlupfwinkel. Und sie war allein. Sie zog die Knie an und schlang die Arme darum. Und Herr Belier? Was mochte er über sie sagen, da sie nicht zur Arbeit kam? Er, der stets freundlich war. Würde sie ihre Anstellung verlieren? Aber sie konnte doch nichts dafür! Sie war ja nicht aus eigener Schuld fortgeblieben. Sie konnte das Weinen nicht mehr unterdrücken. Haltlos schluchzte sie. Bemitleidete sich selbst, weil sie angewiesen war auf einen … einen was? Einen zwielichtigen Fremdling. Einen Quacksalber, dem sie ansonsten die Tür gewiesen hätte.
Trotz mischte sich in die Verzweiflung. Sie hob den Kopf, wischte sich die Nässe von den Wangen, hielt die kalten Hände über das letzte bisschen Glut. Vermaledeit, und wenn schon! Er half ihr!
Jäh ein neuer Gedanke: Tat er das?
Was, wenn er sich davonmachte und nicht wiederkam? Wenn er sie hier vermodern ließ? Einer wie er war doch nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht.
Sei nicht dumm, schalt sie sich. Sein Kasten ist doch hier. Und sein Dolch. Das würde er nicht zurücklassen. Sie befühlte Ryss’ kleine Waffe, die neben ihr lag. Ob sie wirklich imstande wäre, sie zu benutzen? Sie nahm sie in die Hand. Ihr Herzschlag beruhigte sich. Natürlich würde er wiederkehren.
Dann griff eine neue Furcht nach ihr, sie hielt die Luft an. Was, wenn man ihn entdeckte, ihn gefangen nahm? Ihn schlug, verletzte, fesselte? Sie presste die Hand gegen die Stirn. Wie schrecklich und unausweichlich in der Finsternis alles wurde!
Angst, kalt, starr und schwer. Sie fasste neben sich, legte die Hand auf das Schaffell, das Juli umhüllte. Ihr Kind schlief noch immer. Sie spürte es atmen, nahm die Hand nicht fort.
Ryss. Hätte man ihr vor zwei Tagen gesagt, dass sie sich einmal danach sehnen würde, diesen unheimlichen Menschen zu sehen, hätte sie laut aufgelacht. Aber genauso verhielt es sich jetzt. Er sollte zurückkommen!
Wie lange war er überhaupt schon fort?
Und hatten ihre Verfolger wirklich aufgegeben?
Hedwig lauschte in die Nacht.
Ihr war so bang.
Ächzte der Ast, weil Schnee herabfiel oder weil jemand durchs Gehölz schlich? Rührte das Knacken von einem Reh oder einem Wolf? Was, wenn es ein Wildschwein war? Hör auf damit! Es würde niemals die Felsen heraufklettern und in die Höhle kommen. Doch wusste man’s?
Das kleine Feuer war nun fast ausgegangen. Sie hatte keine Ästchen mehr – und sie würde nicht hinausgehen, um welche zu suchen. Es war nicht wegen der Dunkelheit allein. Damit konnte man zurechtkommen. In all der Zeit, die sie sich heimlich mit Philipp getroffen hatte, war sie oft genug im Schutz der Dunkelheit unterwegs gewesen. Aber auf bekannten Wegen heimwärts zu schleichen, war etwas völlig anderes, als in einem finsteren Wald zu sein, in dem sie sich nicht auskannte. Allein, schutzlos.
Weitere Kostenlose Bücher