Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
auf. Blickte von der Waffe in ihrer Hand zu Ryss und sagte: „Ich habe viel zu große Angst, um hier allein zu bleiben. Aber ich habe auch viel zu großen Hunger, um Euch zurückzuhalten. Doch bitte, in Gottes Namen, gebt auf Euch acht!“
Sie wünschte plötzlich, sie wäre bei den abendlichen Gebeten im Hause Belier dabei gewesen, um sich an den Wortlaut zu erinnern. Dann könnte sie ihn jetzt wiederholen und wie Herr Belier darum bitten, dass die körperlichen und geisterhaften Feinde keine Macht über sie hätten. So stand sie nur stumm am Eingang der Höhle, wechselte einen Blick mit Ryss, der ihr zuversichtlich den Arm drückte, ehe er in die Dunkelheit hinaus verschwand.
Vierundzwanzig
„Gute Frau“, sagte Matthias zu Wittib Ringeler, „wir wissen es nicht.“
Sie standen in der Witwe Küche, ihre nassen Schuhe klecksten kleine Pfützen in das ausgestreute Stroh. Am Tisch drängte sich eine Handvoll Kinder um einen Haufen Nüsse.
„Der arme junge Mann!“, rief die Vermieterin. „Ich dachte mir gleich, dass etwas nicht stimmt. Er machte einen gar so bedrückten Eindruck. Und nun das! Festgesetzt, sagt Ihr.“ Sie rang die Hände vor der Brust. „Warum lügt er mich an? Warum sagt er, sein junges Weib sei mit dem Kind zu Euch gegangen?“, fragte sie bestimmt zum zehnten Mal.
Matthias hätte nun ebenfalls zum wiederholten Male „Wir wissen es nicht“ sagen können; stattdessen mahnte er: „Bitte bewahrt einstweilen Stillschweigen darüber. Die Sache wird sich aufklären. Wir wollen nun nach oben gehen.“
„Sicher, sicher!“, nickte Wittib Ringeler „Wenn Ihr etwas braucht, so sagt es nur. Einen Rest Eintopf?“
Matthias winkte ab. Sie hatten an Heiliggeist Brot gekauft, dazu am Markt eingelegte Heringe und Schinken. Auch wenn er keinen Hunger verspürte, zu sehr schlug ihm die Angelegenheit auf den Magen. Doch war es erst gegen vier Uhr, und er musste an Gundel und Michel denken, die am Abend ein Mahl brauchten.
„Nun, so nehmt wenigstens dies“, rief die Witwe, eilte ans andere Ende der Küche zum Wandbord und kam mit einem Töpfchen Honig zurück. Sie drückte es Michel in die Hände und tätschelte seine Wange. „Und dies“, fügte sie an, ging zur Feuerstelle, entzündete einen Kienspan und reichte ihn Matthias. Der öffnete die Küchentür. Kälte wehte herein. „Habt Dank“, murmelte er. „Gute Nacht derweil.“
Beklommen öffnete er die Tür, die zur Wohnung seiner Tochter führte. Er klopfte die Stiefel ab und trat ein.
Hinter ihm taten Gundel und Michel das Gleiche. Gun-del schloss die Tür. Dumpfe Kälte herrschte in der Kammer. Dunkelheit und Schweigen.
„Wartet“, sagte er und hielt auf die Nebenkammer zu. „Aber nein, kein Geschrei, sieht man vom Geplärr des Säuglings ab. Kein Streit. Nichts hab ich gehört.“ Die Worte der Vermieterin hingen in seinem Kopf. Er wusste nicht, was er erwartete. Er wusste nicht, was er erhoffte. Und als er die Tür zur Schlafkammer öffnete, hineinging und mit dem Kienspan umherleuchtete, konnte er das Gefühl nicht beschreiben, das sich seiner bemächtigte. Erleichterung – denn er war trotz Wittib Ringelers Beteuerungen auf das Schlimmste gefasst gewesen. Und eine neue Ratlosigkeit, denn wo war Hedwig dann, wenn sie nicht hier war und nicht krank oder halb tot in ihrem Bett lag, wie er befürchtet hatte?
Später, nachdem sie ein Feuer im Gluttiegel entfacht hatten, saßen sie am Tisch und verzehrten ihr mitgebrachtes Essen. Gegröle drang dumpf von Heidelbergs Gassen herauf, lautes Gelächter aus einem Nachbarhaus.
„Ich hätte dieser Heirat niemals zustimmen dürfen!“ Matthias fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Liebe! Das haben wir nun davon!“
Er spürte Gundels Hand auf seinem Arm und sah sie an. „Wir haben auch aus Liebe geheiratet.“
„Ich hätte es nicht zulassen sollen!“, wiederholte er.
„Du hast alles getan, was ein Vater tun kann, Matthias“, sagte Gundel, und die Sanftheit in ihrer Stimme tat ihm wohl. Denn er machte sich durchaus Vorwürfe.
„Natürlich ist es nicht vernünftig, aus ungestümer Leidenschaft heraus zu heiraten. Aber wir haben zugewartet, zwei Jahre lang. Und als Hedwig sagte, Philipp könne sie nun versorgen, war sie auch schon schwanger. Wie hätten wir nicht zustimmen können?“
„Hat Philipp Hedwig ein Leid angetan?“
Matthias sah seinen Sohn an. Es war das erste Mal, dass Michel etwas sagte, seit sie bei Beliers gewesen waren. Wie sehr es den Jungen mitnahm
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