Das Buch des Vergessens
aus der Holzverkleidung seines Bettes war quer darübergefallen. Laut seiner Mutter war das kurz zuvor geschehen.
Anmerkung
Maury notierte den Traum erst Jahre später, und der Traumbericht kann im Laufe der Zeit an Einzelheiten und Länge gewonnen haben. Es ist auch möglich, dass der Traum schon eine Weile zuvor begonnen hatte und erst im letzten Moment in Richtung Schlag in den Nacken schwenkte. Aber auf vielleicht weniger spektakuläre Weise hat fast jeder einmal selbst erlebt, dass ein Traum auf eine sinnliche Wahrnehmung hinauslief, die in Wirklichkeit der Reiz gewesen sein musste, der den Traum auslöste. Havelock Ellis träumte, er habe seine Frau gefragt, ob sie in einem angrenzenden Zimmer gewesen sei, und sie habe ihm geantwortet: »Ist verschlossen.«
Anmerkung
Er wachte auf und wurde sich bewusst, dass seine Frau das wirklich gerade gesagt hatte – nicht zu ihm, sondern zu einem Bediensteten, der wissen wollte, ob er dieses Zimmer betreten dürfe. Havelock Ellis schrieb die Umkehrung von Frage und Antwort einem tiefen Bedürfnis zu, Ereignisse in einen logischen Verlauf einzubetten, einem Instinkt, der so stark sei, dass er Logik vor Zeit gehen lasse. Auch in den goldenen Tagen des Schlaflabors wurden solche Träume aufgezeichnet. Die Traumforscher Dement und Wolpert weckten ihre Versuchspersonen mit unterschiedlichen Reizen, um zu sehen, wie diese im Traum verarbeitet wurden.
Anmerkung
Einer männlichen Versuchsperson sprenkelten sie kaltes Wasser über den Rücken. Als er wach war, erzählte er zunächst eine ziemlich komplizierte Geschichte darüber, wie er in einem Theaterstück gelandet war. Danach folgte die Szene, die wohl das Wasser ausgelöst haben musste: »Ich ging hinter der Schauspielerin, die die Hauptrolle spielte, als ich sah, dass sie plötzlich zusammenbrach und Wasser auf sie tropfte. Ich ging schnell zu ihr und spürte Wasser auf meinen Rücken und Kopf tröpfeln. Das Dach war undicht. Ich hatte keine Ahnung, warum sie gefallen war, und überlegte, dass sie wahrscheinlich von Gipsbrocken aus der Decke getroffen worden war. Ich schaute hoch und sah ein Loch im Dach. Ich schleppte sie zum Bühnenrand und zog die Vorhänge zu. Da wachte ich auf.«
Anmerkung
Dass man sich an den Traum erinnert, als ginge er seinem eigenen Ursprung voraus, ist eine wunderliche Umkehrung der Chronologie. Aber der amerikanische Biologe Julius Nelson hat 1888 noch einen zweiten Verstoß gegen die Chronologie entdeckt. Wer aus einem Traum erwacht, erinnert sich häufig an die letzten Bilder. Um die Geschichte des Traums zu rekonstruieren, geht man im Gedächtnis zu dem zurück, was diesen letzten Bildern vorausging, »and so on back into the night«.
Anmerkung
Aufgewacht mit einem Bild von sich selbst in einem Keller, rekonstruiert man, wie man eigentlich in diesem Keller gelandet ist. Dann fällt einem plötzlich wieder ein, dass man versuchte, sich vor Männern zu verstecken, die ins Haus eingedrungen waren. Tatsächlich bewegt man sich auf diese Weise entgegen der normalen Erinnerung, denn an Ereignisse erinnern wir uns immer vorwärts. Wenn wir im Alltag erzählen, was wir erlebt haben, weisen unsere Erinnerungen einen Verlauf auf, in dem das eine zum anderen führt. Handlungen haben Konsequenzen, die wieder zu neuen Handlungen führen. So bietet uns die Chronologie während der Reproduktion Halt. Aber bei der Erinnerung an den Traum watet man entgegen dem Strom: Man kommt erst an den Folgen vorbei und gelangt dann zur Ursache, Man hat erst die Antwort, dann die Frage, und den Anfang des Traums erreicht man zuletzt. Die Rekonstruktion verläuft außerdem auch holprig, weil man zurückspringt zu Szenen, die selbst wieder vorwärtslaufen. Nelson verglich es 1888 mit einer Kette: »Man erinnert sich in umgekehrter Richtung an die Glieder; die Ereignisse innerhalb jedes Glieds werden in ihren tatsächlichen Vorwärtsverhältnissen gesehen.«
Anmerkung
Hätte er in unserer Zeit gelebt, hätte er sicherlich auf den Film Memento verwiesen (2000), der als Rekonstruktion eines Traums montiert wurde: Der Film beginnt mit der Lösung, springt dann zurück zu der Szene, die der Lösung vorausgeht, und so weiter. Innerhalb jeder Szene läuft die Zeit ganz normal vorwärts.
Dass es uns nicht leichtfällt, Erlebnisse zu reproduzieren, die von der vertrauten linearen Chronologie abweichen, merkt man, wenn jemand einen Film nacherzählt, in dem Rückblenden vorkommen. Achten Sie einmal darauf: Sie werden ihn fast
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