Das Buch des Wandels
ausbaute, dass er irgendwann unberührbar wurde?
Big Men erlernten im Laufe der Zeit Kulturtechniken, die ihre Macht befestigten. Sie entwickelten Charisma - jene psychologische Energie, durch die Menschengruppen ihr Heil in eine idealisierte Gestalt projizieren (wir können sie bis heute auf frenetischen Popkonzerten besichtigen). Ein Schlüssel zur nächsten Stufe der Machtfestigung und Hierarchie war die Religion. In »klassischen« Big-Men-Kulturen herrschte noch eine intakte Arbeitsteilung zwischen weltlicher und spiritueller Macht. Priester, Schamanen und Big Men befinden sich in verschiedenen Gebäuden und Machtsphären. Irgendwann aber verschmelzen religiöse und weltliche Macht zur totalen Herrschaft.
Die steinernen Zeugen dieser Fusionsphase zwischen weltlicher Macht und magischer Welt können wir in Stonehenge besichtigen, auf den Osterinseln, in den gigantischen Tempelanlagen von Angkor Wat oder den Steinpyramiden der Mayas und Tolteken. Sie waren, wenn man so will, Potenzsymbole von Big Men. Hier findet sich auch die Nahtstelle zu einem weiteren Wegabschnitt der menschlichen Kultur: den Imperien. In ihnen wuchsen die Autoritätssysteme zu mächtigen Herrschaftsgebilden heran. Ein erster Typus von Massengesellschaft entstand, mit strikten Arbeitsteilungen (Bauern, Krieger, Priester). Und einer eben nicht mehr von der gesellschaftlichen Basis kontrollierbaren Macht eines kultisch verehrten Herrschers.
Die Imperien: Organisation, Kommunikation, Kontrolle
Aus manchen Big-Men-Kulturen wuchsen im Laufe der Zeit regelrechte Großreiche heran. Die Sumerer kontrollierten ein Einflussgebiet in einem Bogen von Mesopotamien bis ins Niltal. Ihnen folgten die Hethiter und die benachbarten Assyrer. Den ägyptischen Pharaonen gelang es, ihr Reich über fast 3000 Jahre zu stabilisieren und zu entwickeln. Ökonomische Basis ihrer Herrschaft war eine hocheffiziente Irrigationsökonomie im Nildelta, ein ausgeklügeltes, zentral gesteuertes Bewässerungssystem, das mittels wiederkehrender Schlammlieferungen des Nil enorme Produktivitätsraten ermöglichte. Diese technologische Basis einer bis dahin unbekannten agrarischen Produktivität erzeugte von Anfang an strenge Machtstrukturen: Wer das Bewässerungssystem beherrschte, verfügte über fast grenzenlose Macht – die biblische Erzählung des Volkes Israel handelt von der dazugehörigen Unterwerfungs- und Rebellionsgeschichte.
Damit und mit einer ausgedehnten Viehwirtschaft – die Ägypter züchteten sogar Gazellen – konnte man nicht nur Zigtausende von Arbeitern und Sklaven ernähren, sondern auch eine
superreiche und von einem hochartifiziellen Totenkult besessene Herrscherkaste alimentieren.
Woher stammte die erstaunliche Stabilität der antiken Imperien? Sie basierten auf einer Art »Madoff-Strategie mit Menschenkraft«. 22 Wie der New Yorker Börsenspekulant, der zum Höhepunkt der Finanzkrise 50 Milliarden Dollar seiner Kunden verspielt hatte, indem er die Zinsen stets mit den späteren Einlagen weiterer Anleger bezahlte, lösten die Imperien ihre zentrale Knappheit, nämlich Arbeitskraft, mit einem Schneeballsystem billiger Arbeitskräfte, die durch immer neue Feldzüge und Unterwerfungen herangeschafft wurden. Imperien mussten nach außen dauerhaft grausam sein, um sich nach innen zivil organisieren zu können.
Anders als in den Dschungeln der Amerikas, die vergleichsweise spät besiedelt wurden, lebten in den an Ägypten angrenzenden Wüstenregionen, aber auch in den »barbarischen« Regionen Europas und Asiens mehr als genug Menschen, deren Lebensgrundlage und Verteidigungskraft zu schwach war, als dass sie sich gegen Unterwerfung hätten wehren können. So fanden die Imperien Persiens, Athens, Roms und Ägyptens über Jahrhunderte immer genug Menschennachschub, um den enormen Verschleiß an menschlicher Arbeitskraft auszugleichen. Bürger der antiken Großreiche waren verpflichtet, den Ruhm und die Stärke des Imperiums zu mehren, indem sie siegreiche Feldzüge unternahmen – eine ausgeklügelte Sozioökonomie von Geben und Nehmen (auf die nicht zufällig die Nationalsozialisten in ihrem kriegerischen Herrenmenschentum 2000 Jahre später zurückgreifen sollten).
Ein weiteres Stabilisierungselement erfolgreicher Imperialkulturen war die innere Konfliktmoderation via »Checks and Balances«. Im antiken Griechenland hatte sich schon 400 vor Chr. eine »Kultur der Rechte« entwickelt. Das Römische Reich erwuchs zunächst aus der Regierungsform der
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