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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Flora zu höheren Proteinvorkommen verdichteten, in den fruchtbaren, nicht zu heißen Waldgebieten, den Flussdeltas, den großtierreichen Savannen, entstanden bald Territorialkonkurrenzen. Ein Stamm, eine besonders starke Horde begann, ihre Jagd- und Sammelgründe auszuweiten. Und wurde mit Bevölkerungswachstum belohnt. Irgendwann stießen sie an innere und äußere Grenzen. Nach innen, weil die steigende Anzahl der Menschen zu sozialen Konfusionen und Konflikten führte.
    Wie wir aus jedem Strategiespiel wissen – von Monopoly über Siedler bis zu entsprechenden Computer-Simulationsspielen – ist der Erfolg kriegerischer Aktivitäten von Koordinationsfähigkeiten abhängig. Man kann Feldzüge nicht gewinnen, wenn alle unorganisiert aufeinander einprügeln. Konflikt bedeutet Organisation von Ressourcen, erfolgreicher Krieg hat (neben der Waffentechnik) mit der Kunst zu tun, Verbündete zu gewinnen. Taktik und Strategie bedingen effektive Kommunikation. Zum Kriegführen benötigt man zudem ein komplexeres Zeichensystem: Insignien der Gemeinsamkeit, Symbole und Rituale der Furchtbannung, um die Todesangst zu überwinden und den Feind zu dämonisieren.

    »Big Men«, also starke Führer, brachten in einer bestimmten Phase der menschlichen Entwicklung Überlebensvorteile. Wer sich ihnen anschloss, hatte Vorteile gegenüber denjenigen, die in kleinen, unstrukturierten Gruppen blieben. Während agrarische Techniken die Lebensweisen territorialer machten und Überschüsse zu Vorräten und schließlich Reichtümern führten, breiteten sich parallel zu den agrarischen Kulturtechniken die Big-Men-Hierarchien auf dem Planeten aus, große Stämme mit einem reichen, mächtigen Oberhaupt und dessen Entourage an der Spitze.
    Was brachte Menschen einstmals dazu, die üppige Verschwendung, die mit dem Erscheinen eines Big Man verbunden ist, zu tolerieren oder zu unterstützen, anstatt sich Beute und Ernte wie in der guten alten Zeit brüderlich zu teilen? Robert Wright beschreibt den Südsee-Typus der Big-Men-Gesellschaften:
    »Der Big Man war der Chefplaner eines Klans, vielleicht eines Dorfes. Er organisierte den Bau von Lachsfallen oder Fischkellern und sorgte dafür, dass sich einige Dorfbewohner spezialisierten, zum Beispiel auf die Herstellung von Kanus. Dafür erhielt er zwischen einem Fünftel und der Hälfte aller Jagdausbeuten. Ein Teil dieser Einkünfte kehrte in Form von Festessen zu den Menschen zurück … Er lebte in einem überdurchschnittlich schönen Haus und verfügte über eine überdurchschnittlich ausgestattete Garderobe.« 20
    Ein mächtiger Häuptling, oft polygam privilegiert, nimmt also einen großen Anteil der Ressourcen an sich – Frauen, Fleisch, Land, das schönste Haus in der schönsten Lage, mit der besten Sicht über die Lagune. Sind alle verrückt geworden, dass sie sich das gefallen lassen? Was bietet er den auf diese Weise »Erleichterten« im Gegenzug an? Die Antwort lautet: Komplexitätsreduzierung. Er entscheidet jene Prozesse, die sich in der sozialen Selbstregulation des Stammes oder der Ethnie nicht mehr so leicht
regeln lassen. Im Ausgleich für sein »Parasitentum« liefert der Big Man soziale Vorteile: Er koordiniert komplexere Vorhaben, die dem ganzen Stamm zugutekommen. Er fungiert als Diplomat, der Kriegszüge vorbereitet oder durch Verhandlungen verhindert. Er ermöglicht den Mitgliedern des Stammes, ihre Angst vor dem Unerwarteten zu kontrollieren; er wird sich darum kümmern. Er dient als Projektionsfläche, in die das Kollektiv seine Ängste und Erwartungen projizieren kann. Er garantiert bestimmte Disziplinierungsmaßnahmen, die in komplexeren Kulturen entstehen müssen, um die Übertretung von Gruppenregeln zu ahnden. Und er dient dem Statusbedürfnis: Ein reicher Häuptling, der viele rauschende Feste feiert, suggeriert seinen »Untertanen« Stolz und Wertigkeit. Grundsätzlich gilt natürlich, dass die Vorteile hierarchischer Kooperation die Nachteile ausgleichen müssen, die der Status des Führers als Kosten mit sich bringt. 21
    Big-Men-Häuptlinge der ersten Stunde waren noch »funktionale Parasiten«, die allerdings in einem prekären Status gehalten wurden – es gab durchaus demokratische Elemente auch in der hierarchischen Stammesgesellschaft. Ein Häuptling konnte abgesetzt und sogar getötet werden, wenn ihm das Kriegsglück abhold blieb oder wenn er für das Wohl des Stammes keine Vorsorge traf. Was aber, wenn er sich weigerte? Wenn er seine Macht so massiv

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