Das Buch des Wandels
gut bezahlte Fachkräfte mit hohem Sozialprestige.
Wie konnte Finnland dieser Wandel gelingen? Die größte Ressource des Landes ist nicht Fichtenholz oder Eisenerz oder Handy-Technik, sondern das Vertrauen der finnischen Bürger. In den Staat, der nicht als korrupter Kleptokrat gesehen wird (obwohl die Steuern traditionell hoch sind), sondern als gewähltes Organ der Bürger. In die Wirtschaft. In die lokalen Strukturen der Bürger und der Verwaltungen. Und in sich selbst.
Vertrauen ist, wie wir auf unserem langen Weg von den Savannen Afrikas bis in die moderne Zivilisation gelernt haben, die kostbarste Ressource für das Gelingen des Wandels. Sie ist die Gegendroge zu Angst, Macht und Zynismus. Vertrauen reduziert den Aufwand der Komplexität, weil sie alle Wege verkürzt und alle Kommunikation mit der Aura des Gelingens versieht. Sie fördert Kooperation statt Hierarchie. Sie ist die einzige Ressource, die sich ständig vermehrt, während man sie »verschwendet«. Wo Vertrauen die Gesellschaft prägt, sind Prosperität und Stabilität fast eine automatische Folge. Diese kostbarste aller Ressourcen, so ahnen wir, entsteht nicht von allein. Ihre »Produktion« hat etwas mit Erfahrung zu tun. Wie Panik und Paranoia die Sedimente der Angst sind, ist Vertrauen ein Amalgam gemeinsam überwundener Krisen.
Die Schönheit der Blasen
Finanzblasen sind so alt wie der Geldkreislauf. Es gab sie in den alten Imperien wie bei den alten Ägyptern, die sich mit Rohstoffen und Gold verspekulierten, oder in Rom, wo 66 vor Christus das Finanzwesen zusammenbrach, weil reiche Bürger sich in Asien verspekuliert hatten (Cicero forderte einen Krieg zum Ausgleich). Im Florenz der Medici meldeten im Jahre 1345 die mächtigen Bankhäuser Bardi, Peruzzi und Accaiuoli Bankrott an, und die Ökonomie der oberitalienischen Stadtstaaten kollabierte daraufhin für mehr als ein Jahr. 2
»Kredit« kommt vom lateinischen »credo«, »ich glaube«. Ich glaube, dass mir etwas zurückgezahlt wird – mit Mehrwert. Dieser Glaube ist eine radikalisierte Form des Vertrauens. Sie kann seltsame Blüten treiben. Wie bei den Holländern, die mit der »Tulpenhausse« des 17. Jahrhunderts die wohl spektakulärste und mit Abstand schönste Spekulationsblase produzierten.
1635 ging die Zwiebel einer »Semper Augustus«, einer rot-weißgeflammten Tulpe, in Haarlem für 6000 Gulden über den Tresen. Beziehungsweise für »acht fette Schweine, vier fette Ochsen, zwölf fette Schafe, 24 Tonnen Weizen, 48 Tonnen Roggen, zwei Fässer Wein, vier Fässer Bier, 2000 kg Butter, 500 kg Käse, einen silbernen Kelch, einen Ballen Stoff, ein Bett mit Matratze und Bettzeug und ein Schiff im Werte von 500 Gulden«.
In den Jahren um 1635 glich Europa in seinem flachen Polderteil einem Tollhaus. Kaufleute aller Art, Marktschreier, obskure Gestalten, Halsabschneider, Claqueure, Trittbrettfahrer, aber auch viele ehrbare Bürger, die sich mühsam durch ganz Europa hierherbegeben hatten, drängten sich in den engen Gassen von Antwerpen, Haarlem, Leiden. Sie kauften Tulpenzwiebeln, hässliche, braune Knollen, bei denen man zunächst nicht wissen konnte, was »drin« war. Und bald darauf kauften sie bereits Optionen auf Blumenzwiebeln, die zu einem gewissen Zeitpunkt »reif« werden sollten. Andere Blumenbroker spekulierten auf Zuchtprojekte,
die noch niemand tatsächlich gesehen hatte, auf sagenhafte geflammte, gezüngelte, gepunktete Exemplare, die man »zu erblicken geglaubt« hatte. Die Tulpen des 17. Jahrhunderts waren mit einer Viruskrankheit infiziert, und gerade das machte ihre zerbrechliche Schönheit aus; Musterbildungen, Formen und Farben mutierten teilweise innerhalb weniger Zwiebelgenerationen.
Welch einen Kontrast bildeten diese vergänglichen Gewächse zur Wirklichkeit dieser Tage! Der Schwarze Tod, die Pest, hatte Europas Bevölkerung in manchen Regionen glatt halbiert. Eine Kälteperiode, die »Kleine Eiszeit«, ließ die Ernten schrumpfen und den Hunger steigen. Im Europa des 17. Jahrhunderts wurden um die 20 Kriege geführt, die religionspolitischen und dynastischen Spannungen erreichten im Dreißigjährigen Krieg ihren Höhepunkt. Diese chronische Kriegskatastrophe betraf nahezu den gesamten Kontinent, verwüstete und entvölkerte ganze Landstriche.
Die Tulpenmanie erzählte von einer poetischen Sehnsucht nach Kunstfertigkeit, Schönheit, Eleganz, von der Hoffnung, die Menschen auch und gerade in schweren Zeiten kultivieren können. Die Tulpen der
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