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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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allein kann nichts bewegen. Die Immobilienkrise war eine Kollektivproduktion aus falschen Bewertungen, idealistischen Fehleinschätzungen, sehr menschlichen Bedürfnissen und knallharten Interessen. Das ist der Stoff, aus dem solche Krisen gemacht sind: Sie sind sich selbst verstärkende Eskalationen, in denen sehr menschliche Hoffnungen das Regiment führen. Man kann in ihnen lesen wie in einem Buch.

Der Hochhaus-Index
    Ist es ein Zufall, dass die Höhenrekorde im Hochhausbau mit dem Beginn einer Wirtschaftskrise korrelieren? Der sogenannte Skyscraper Index scheint dies nahezulegen. Als das 1927 geplante Empire State Building 1931 eingeweiht wurde, steckte Amerika in einer tiefen Rezession. Als das World Trade Center 1972 in den Himmel wuchs, stand die Rezession von 1973 als Folge der Ölkrise unmittelbar bevor. Auf die Petronas Towers in Kuala Lumpur wurden Gipfelkreuze gesetzt, als die asiatischen Börsen 1997 kollabierten. Und beim 560 Meter hohen Wüstenwahnsinnsturm The Burj in Dubai war eben die Rohbauphase beendet, als die Finanzwelt in die Krise rutschte und eine globale Rezession begann. In der ökonomischen Zukunftsforschung werden schnell wachsende Hochhausbauten inzwischen schon als Indikatoren für eine bevorstehende Rezessionsphase benutzt. Man spekuliere auf einen Crash, wenn irgendwo auf der Welt ein Bauinvestor einen neuen Höhenrekord ankündigt, und werde garantiert reich!

    Abb. 6: Der Hochhaus-Wirtschaftskrisenzyklus

    Das Phänomen lässt sich relativ einfach erklären – es entsteht aus dem besonderen Interagieren von freiem Kapital, Grundstückspreisen und Repräsentationsgier (sprich männlichem Größenwahn). Hochhäuser sind auf ihre Weise »Extremblüten« von Boomzeiten. Wenn in einem Aufschwung viel Kapital auf den Markt drängt, machen sich Investoren verstärkt Gedanken, wie sie das viele Geld anlegen können. Es treten große Unternehmen auf den Plan, die eine repräsentative Zentrale brauchen. Und Regierungen, die ihr Land auf der globalen Karte gern besser positioniert sehen wollen. Diese Interessen verbinden sich zu spektakulären Bauplänen, nationalen Machtbeweisen und /oder Potenzsymbolen von Tycoons, die von berühmten Architekturbüros umschwirrt werden wie das Licht von den Motten. Da im Boom die Grundstückspreise in Ballungsgebieten hoch sind, lohnen sich extrem hohe Bauten. Die Nachbargrundstücke werden ebenfalls teuer verkauft, denn neue Hochhäuser schaffen eine interessante Infrastruktur, um die sich andere Investoren sammeln.
    Irgendwann flaut der Boom ab, die Wachstumskurve verflacht. Investoren bewerten ihre Portfolios neu. Baufirmen gehen pleite. Nun genügt eine winzige Irritation wie ein Börseneinbruch, dass die Bücher neu geschrieben werden müssen. Bald stellt sich heraus, dass einfach zu viele Marktteilnehmer auf dieselbe Idee gekommen sind: wie verrückt Büro- und Gewerberaum zu bauen. So viele Mieter kann es gar nicht geben! Schon machen die ersten Investoren pleite, die ersten Bauruinen entstehen. Die Statussymbole in der Mitte des ganzen Chaos jedoch werden immer zu Ende gebaut – notfalls mit staatlichem Geld.
    Spektakuläre Hochhausbauten sind also nicht nur Zeigerpflanzen für Rezessionen, sie provozieren auch Wirtschaftseinbrüche. Solche Krisenmechanismen durchziehen unsere ganze Ökonomie,
so wie es Turbulenzen in einem Fluss gibt. Ihre Grundformen lassen sich auf das »Sterman’sche Marktkommunikationsmodell« zurückführen. 4 Informationen verbreiten sich in Märkten stets verlangsamt; selbst wenn alle Marktteilnehmer über bestmögliche Informationen verfügen, bewerten sie diese aus unterschiedlichen Sichtwinkeln, und die Wahrheit setzt sich erst in einem kumulativen Prozess durch. Es dauert sehr lange, bis die Einschätzung, dass der Boom endlich ist, von Teilnehmer zu Teilnehmer gelangt, bis plötzlich ein Wendepunkt erreicht ist, an dem bedingungsloser Glaube in Panik umschlägt. Der Prozess gleicht dem Stille-Post-Spiel, bei dem die Nachricht zeitlich verspätet und dazu verzerrt beim letzten Marktteilnehmer ankommt. Daraus entsteht das zyklische Auf und Ab der Miet- und Immobilienpreise, des Bauvolumens; die Schweinezyklen der Rohstoffe, die hektischen Fieberanfälle der Börsen. Es gewinnen all jene, die am schnellsten und zur richtigen Zeit in ein Geschäft einsteigen. Und am schnellsten wieder draußen sind. So siegt Intelligenz über Opportunismus. Aber nur wenn Opportunismus herrscht, kann sich Intelligenz als Motor von

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