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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Verschläge und Hütten haben einen Fernseher.
    Dharavi gilt als eines der wirtschaftlich vitalsten Armenviertel der Erde, ein Schmelztiegel für Religionen, Ethnien und Kasten. Töpfer kommen aus Gujarat, die Gerber sind Tamilen. Jeans-Näher aus Uttar Pradesh. Den in »Slumdog« dargestellten Gewaltkonflikt zwischen Hindus und Moslems gibt es, aber gleichzeitig leben hier Kasten, Sekten, Kulturen unter den härtesten Bedingungen eng zusammen – eine soziale Integrationsleistung gewaltigen Ausmaßes. Auf eine Milliarde Dollar jährlich wird die Wirtschaftsleistung Dharavis geschätzt. Man liefert in die Luxushotels, ins Ausland, in die Reichenviertel. Und nun gibt es auch einen ehrgeizigen Sanierungsplan. Der läuft auf ein Joint Venture mit den Bauspekulanten hinaus: Sie sollen den Bewohnern kostenlosen Wohnraum in umliegenden Neubauten anbieten und dürfen dafür Teile des Slumgeländes für weitere Neubauten nutzen. Die Handwerksgeschäfte Dharavis sollen in neu errichtete Malls mit ökologischer Architektur integriert werden – ein Marshall-Plan für die Armut, der nicht weit von der Realisierung entfernt ist.
    Heute denken die meisten Entwicklungsökonomen anders über die Zukunft der Slums als in der Vergangenheit, wo es vor allem um deren möglichst schnellen Abriss ging (was nur zu noch schlimmeren Siedlungen ein paar hundert Meter weiter führte). Inzwischen wissen wir, dass sich die Slums von innen heraus auflösen können – durch den sozialen Aufstieg ihrer Bewohner. Um diese Hoffnungsdynamik zu intensivieren, benötigt es neue Strategien. Der peruanische Ökonom Hernando de Soto zum Beispiel konzentriert seinen Ansatz auf die Eigentumsrechte.
Gäbe man den Bewohnern der Slums Eigentumsrechte an ihren Häusern und Wohnungen, die sie als Kreditsicherheit einsetzen könnten, so de Soto, käme automatisch eine Wohlstandsspirale in Gang. Andere Sozialforscher und Ökonomen widersprechen allerdings dieser These: Privates Wohneigentum würde in bitterarmen Gesellschaften nur Streit und Zwietracht säen, die Slum-Kultur mit ihren starken zivilgesellschaftlichen Bindungen spalten. Einen anderen Aspekt betonen die Autoren von »Poverty Trap«, einer Untersuchung über die Armut als Strukturphänomen. »Dysfunktionelle Institutionen«, sagen sie, sind vor allem verantwortlich für Armutsenklaven, die sich heute auch in reichen Ländern (wieder) entwickeln und in denen negative Verhaltenscodes, fatale Armutsmeme, infektiös weitergegeben werden. 14 Der radikalste Denker an dieser Front ist womöglich der Ökonom Paul Romer. Er empfiehlt »Charter Cities«: Man errichte inmitten des Elends Brückenköpfe der Modernisierung, Sonderwirtschaftszonen, die unter internationaler Verwaltung stehen, gut organisierte Wohlstandsenklaven. Man bekämpfe die Slums durch Antislums und nutze den Zusammenprall zwischen den Systemen des Reichtums und den Gesetzen der Armut als dynamisierende Kraft. Frech schlägt Romer zum Beispiel der kubanischen Regierung vor, aus dem verlassenen Guantanamo ein neues Singapur zu machen. 15

Die zwei Wandel-Modi
    Fügen wir jetzt diese Beobachtungen und Überlegungen zu einem Modell zusammen. Grundsätzlich existieren zwei funktionierende menschliche Organisationsformen auf unserem Planeten. Man könnte sie »einfach adaptive« und »dynamisch adaptive« Gesellschaften nennen. »Einfach adaptive« Kulturen sind das Resultat der genetischen und sozialen Evolution. Solche Kulturen sind »an ihre Umwelt angepasst«, sie können in gewissen Grenzen auf
Knappheiten reagieren, Konflikte moderieren und Krisen überstehen. Unter folgenden Bedingungen vermögen sie über viele Jahrtausende stabil zu bleiben:
    • Eine Überleben sichernde Umwelt: die Basisressourcen, die zum Überleben notwendig sind.
    • Eine gemeinsame symbolische Sprache: Verständigung über fundamentale Gefühle und Probleme.
    • Sinnstiftende und angstbannende Rituale: die Erzeugung von Gemeinschaft und Gemeinsamkeit ohne Angsteskalation.
    • Ein »Cheating-Bestrafungs-System«: Sanktion von unsozialem Verhalten und eine einfache Gerichtsbarkeit.
    • Ein kollektives Gedächtnis: Nur dann kann Erfahrungswissen weitergegeben und verbessert werden.
    Einfach adaptive Kulturen findet man vor allem in den abgelegenen Gebieten der Erde, in den trockenen Savannengebieten, Gebirgen, Hochtälern, Dschungeln. Einige wenige dieser Gesellschaften entwickeln sich unter evolutionärem Druck oder besonders günstigen Bedingungen in Richtung

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