Das Buch des Wandels
Hoffnungen und Erwartungen entfalten.
Wer all das abschaffen will – durch Kontrollen, Restriktionen, Steuern, Verstaatlichungen -, manipuliert die zentralen Marktmechanismen. Wer Wirtschaftskrisen abschafft, eliminiert im Grunde die Wirtschaft selbst.
Die Zyklen der Innovation
Noch deutlicher wird diese Überlegung, wenn wir die Finanzblasen mit den großen technologischen Zyklen in Beziehung setzen. Zu diesen Blasen kommt es immer dann, wenn jede Menge »vagabundierendes« Kapital auf dem Markt ist, das in einer Phase der Produktivitätssteigerung entstanden ist. Kapital kann sich nämlich, entgegen landläufiger Meinungen, sehr wohl selbst vermehren, es muss nicht anderen »weggenommen« werden, wie die
klassisches Ausbeutungsthese besagt. Schlüssel zu dieser Vermehrung sind neue produktive Technologien.
In den Tälern der Innovationsgeschichte, wenn keine neue, durchschlagende, produktionssteigernde Technologie zur Verfügung steht, in diesen »Winter«-Phasen, wenn die wilden Rösser der Innovation ermüdet sind, sucht das Kapital verzweifelt nach einer Anlage, mit der es sich vermehren kann. Es beginnt dann um sich selbst zu kreisen. Es entwickelt Tricks, Tarnungen, Täuschungsmanöver. Es wird spekulativ.
Den Grundrhythmus dieses Systems bilden die Kondratieff-Zyklen, jene großen Wellen der technologischen Schlüsselinnovationen, die der russische Ökonom Nikolai Kondratieff schon in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschrieb. Dessen Überlegungen wurden von Schumpeter in seiner »Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung« weiter ausgearbeitet. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, im ersten Kondratieff-Zyklus, liefen die Baumwollspinnereien heiß. Europa wurde von den napoleonischen Kriegen erschüttert, die nicht nur Verderben, sondern auch Gewerbefreiheit und Bürgerrechte in viele Teile des Kontinents brachte. Als die Welle der »Biedermeier-Prosperität« verebbte, folgten die politischen Unruhen der 1848er-Zeit. Das erstarkte Bürgertum verlor sein Kapital zum Teil wieder in der Telegraphenblase von 1840 und der großen Eisenbahnblase von 1857, zwei Spekulationswellen, in denen auch der »Kleine Mann« sein Geld in Eisenbahn- und Telegraphieaktien anlegte – und verlor. Der Gründerboom, der mit der Eisenbahn über Europa und Amerika kam, endete in einem großen Crash im Jahr 1873. 5
Und so ging es weiter. Der nächste Boom folgte um die Jahrhundertwende mit dem Durchbruch der Elektrizität. Vielfältige Industrien und Infrastrukturen entstanden. Die Weltkriege beendeten die Euphorie des frühen 20. Jahrhunderts, bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Petrochemie ihren Siegeszug antrat. Und das größte Innovationsprojekt aller Zeiten anhob, das dem westlichen Teil der Welt das »Wirtschaftswunder« brachte: das Auto-Straße-System.
Die Informationsrevolution der achtziger Jahre machte die alten Fließband- und Kommandosysteme, die bis dahin die Fabrikwirtschaft dominiert hatten, obsolet. Tausende alter »Fabrikanten« gingen bankrott; wer nun erfolgreich sein wollte, musste Marketing beherrschen, Prozesswirtschaft, Outsourcing, Kommunikation. Um eine neue Wirtschaftsdynamik möglich zu machen, müssen die alten Kartelle und Methoden zerstört werden. Mit anderen Worten: Krisen sind das Fundament des technisch-ökonomischen Prozesses. Daniel Gross, Autor des Buches »Finanzblasen – und warum sie so wichtig für die Wirtschaft sind« geht diesem Ansatz noch ein Stück weiter nach. Seine These: Spekulationskrisen erzeugen in einer Art Seiteneffekt jene Wissens- und Infrastrukturen, auf der sich die nächste Welle der Produktivität überhaupt erst entfalten kann. So legte die Tulpenblase von 1636 den Grundstein für die außergewöhnlichen Züchterkenntnisse der Holländer. Tausende von Gärtnern verfeinerten ihre Kenntnisse über die Pflanzenzucht, Dünger und Vermehrung, um der gewaltigen Nachfrage nach Tulpen Rechnung zu tragen. Dieses Wissen wurde zum Kapital für die Zukunft. Bis heute sind die Niederlande die exportstärkste Agrarnation der Welt, ihre industriell-agrarischen Methoden legendär produktiv (inzwischen schaffen die Holländer sogar Tomaten, die schmecken ).
Die Eisenbahnspekulation des 19. Jahrhunderts kostete vielen Sparern beiderseits des Atlantiks, darunter auch Handwerkern, Händlern, sogar Dienstmädchen, das letzte Geld. Aber sie schuf innerhalb weniger Jahre ein durchgängiges Schienennetz. In England verbanden danach 9500 Meilen nagelneuer Schienenwege die
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