Das Buch des Wandels
Hollandblase waren überdies aber auch ein Symbol für jene Hinwendung zur Naturerkenntnis, mit der sich die Menschen vom Mittelalter und seinen religiös geprägten Weltbildern verabschiedeten. Sie symbolisierten eine Leidenschaft, die viel tiefer reichte als die Gier nach Geld.
Inzwischen ist der Verlauf von Finanz- und Spekulationskrisen der letzten Jahrhunderte gut untersucht. Die Verläufe ähneln sich: Einer langen Vorspielphase, in der goldene Zeiten versprochen und sensationelle Neuheiten verkündet werden, folgt eine kurze, rauschhafte Euphorie, die ungefähr bei einer Verzehnfachung der Kurse und Erwartungen in Panik umkippt. Finanzkrisen folgen dem Impuls der »animal spirits«, wie John Maynard Keynes diesen Trieb der opportunistischen Vermehrung genannt hat: animalische Leidenschaften. Auch John Kenneth Galbraith beschrieb die Blasenlogik schon in den achtziger Jahren in seinem Buch
»A Short History of Financial Euphoria« als eine Verkettung von »funktionalisierten Leidenschaften«. 3
Aber dieses Leidenschaftsprinzip regiert eben nicht nur im fernen Reich der Banker und Broker und professionellen Bereicherungsagenten. Wir alle kennen aus unserem Alltag Spekulationsblasen der kleinen und großen Art. Ich selbst habe als Kind jahrelang meine spekulativen Energien fiebrig in Matchbox-Autos, Briefmarken, Weltraumbilder, Fußballbilder, komplizierte Papierschiffe, aufgespießte Schmetterlinge, Mineralien und schließlich seltene Pop-Alben investiert, mit dem festen, durch meinen Vater gestützten Hoffnungshorizont goldener Gewinne. Als ich mein prächtiges Briefmarkenalbum zur Finanzierung des Studiums verkaufen wollte, erlebte ich einen Schwarzen Montag.
Meine Großmutter schwor zeit ihres Lebens auf Schmuck und Perserbrücken. Die meist in öden Blassfarben gehaltenen, ornamental barocken Teppichläufer galten in der Nachkriegszeit als inflationsfreie Spekulationsware; womöglich in nostalgischer Reminiszenz an den »Glanz des Orients« (oder durch raffiniertes Marketing der Perserteppich-Mafia) glaubte man an gigantische Wertsteigerungen in der Zukunft und zahlte Fantasiepreise beim Erwerb einer Tabriz-Brücke oder eines Ghom. Gottlob war meine Großmutter so schlau, nicht alle Eier in einen Spekulationskorb zu legen. Aber schön war es doch. Und was wären wir ohne solche Illusionen?
Die moralische Gier
Gier! Neoliberaler Wahn! Die Herren des Geldes verwüsten die Welt! So tönt es seit Jahren aus allen Kanälen unserer medialen Erregungskultur. Wenn es nur so einfach wäre!
Am Ausgangspunkt jener Spirale, die in die Finanzkrise von 2008/09 führte, standen nicht die Banken und ihre Profitinteressen, sondern der Staat und ein Sozialprogramm. Jimmy Carters Administration startete in den frühen achtziger Jahren eine Eigentumsinitiative
unter dem Motto »A Nation of Homeowners«. Damit sollte dem europäischen Sozialstaatsmodell, das in den siebziger Jahren seine Erfolge, aber auch seine ersten Strukturkrisen erlebt hatte, ein marktwirtschaftliches Modell gegenübergestellt werden. The American way of Sozialstaat gewissermaßen. Durch Bildung privaten Eigentums für jeden amerikanischen Bürger.
Amerika befand sich um 1980 in einer tiefen Identitätskrise. Rassenunruhen suchten das Land heim, es gab hohe Kriminalitätsraten, 900 Morde pro Jahr allein in New York, weite Teile der Städte waren verkommen. Was lag näher, als die Frage des persönlichen Hauseigentums ins Zentrum der sozialen Frage zu setzen und eine »Ownership Society« anzustreben? Als Teil des »New Deal« hatte man schon 1938 eine staatlich fundierte Bausparkasse, Fannie Mae, zur Förderung des Hausbesitzes bei Einkommensschwachen gegründet. 1977 verabschiedete man außerdem den »Community Reinvestment Act«, der das persönliche Eigentum der Bürger in den amerikanischen Kommunen massiv fördern sollte.
Der Rest der Geschichte ist bekannt. Der 11. September 2001 eröffnete Anfang des Jahrtausends eine Phase des extrem billigen Geldes – die Fed senkte die Zinsen bis an den Nullpunkt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Hauspreise schon zwanzig Jahre gestiegen … Und nun stiegen sie noch weiter … und noch weiter … Und die Banken gaben immer einfacher Kredite und verkauften diese dann gebündelt an europäische Landesbanken, die nach einer soliden Geldanlage mit »Triple-A-Ratings« suchten. Was konnte sicherer sein als Immobilien?
Natürlich spielten Gier, Ignoranz und Machtstreben eine Rolle in diesem System. Aber Gier
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