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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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auf höhere soziale Komplexität. Sie erweitern ihren Radius und ihre Produktivität, knüpfen Kontakte nach außen. Die Bevölkerungszahl wächst, die inneren und äußeren Konflikte nehmen zu. Es entsteht eine Übergangsgesellschaft.
    An diesem Punkt wird es kritisch: Die alten Soziotechniken und Kulturformen funktionieren nicht mehr. Chaos entsteht, so wie wir es in vielen Übergangsgesellschaften (einschließlich unserer eigenen in der Vergangenheit) erleben konnten. Ein bisschen erinnern Gesellschaften in diesem Stadium an Pubertierende, die mit ihren Gliedern und Gedanken nicht so recht etwas anzufangen wissen. Damit daraus eine neue Stabilität erwächst, müssen neue Checks und Balances entstehen – Rückkoppelungsschleifen, die der höheren Komplexität gewachsen sind, die schnellere Adaptionen unter dynamischeren Verhältnissen ermöglichen. Dynamisch-adaptive Gesellschaften verfügen schließlich über:
    • Verbindliche soziale Normen: ein Ethiksystem, das die Mehrheit der Menschen als verbindlich akzeptiert.
    • Adaptive Gesetzgebung: straf- und zivilrechtliche Regeln, die sich in einem ständigen Rückkoppelungsprozess verändern und verbessern.
    • »Objektiviertes« Verwaltungssystem: die Regelung öffentlicher Angelegenheiten ohne oder doch wenigstens mit wenig Korruption.
    • Kontrolle der Gewalten: starke Gegengewichte gegen die Verselbstständigungen einzelner Interessengruppen, die auch in der Lage sind, Märkte zu zähmen und zu regulieren.
    • Ein Ethos der individuellen Leistung: motivierende Kräfte, die den Einzelnen dazu bringen, seine Fähigkeiten zu verbessern und nach mehr materiellen Gütern zu streben.
    Abb. 5: Ein einfaches Modell der zivilisatorischen Phasen
    Es ist völliger Unsinn, die eine oder andere Kulturform als »gut« oder »schlecht«, »rückständig« oder »fortschrittlich« zu bewerten. In der kulturellen Evolution geht es, wie in der biologischen, ausschließlich um Angepasstheit an die Umstände. Es ist, wie schon gesagt, nicht die Beschleunigung, die den Pfeil der Komplexität nach oben hebt. Doch Technologie und Globalisierung verknüpfen und verbinden immer mehr Kultursysteme und Lebensweisen. Wenn immer mehr Menschen sich auf diesem Planeten durch Internet, Reisen, Austausch, Information, Migration verbinden, steigt schlichtweg die statistische Wahrscheinlichkeit für jene Konvergenzen und Konjunkturen des Wandels, in denen »alles zusammenkommt«. Die Anzahl der Komplexitätssprünge nimmt zu – vorübergehend aber auch die Anzahl der Krisen und Konfrontationen.
    Ist die höhere soziale Komplexität erst einmal etabliert (auf dem Wege der memetischen Replikation), kann sie, allen kulturpessimistischen Unkenrufen zum Trotz, erstaunliche Robustheit entwickeln. Wohlstands- und Fortschrittskulturen weisen Steuerungssysteme auf, die auch komplexe Organismen auszeichnen: Sie sind empfindlich und zugleich widerstandsfähig. Der Grund ist das, was man ein »gesellschaftliches Immunsystem« nennen könnte. Nach dem Psychoanalytiker und Archetypus-Forscher Clotaire Rapaille ein »Überlebens- und Erfolgsmanual für Zivilisationen«. 16 Und wodurch wird dieses Immunsystem trainiert, entwickelt, verbessert? Durch Krisen!

4 DIE WEISHEIT DER KRISE
    Wie Brüche uns weiterbringen
    Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.
    Max Frisch
     
Diese Krise stammt aus unserer Mitte, dem tiefsten Inneren, dem Kern unseres Wesens.
    Financial Times 2009
     
Denn keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.
    Goethe

Das Wunder im Norden
    Im Jahre 1993 geriet im Norden Europas, wo die Sommer kurz und die Winter dunkel sind, ein kleines Land in eine große Krise. Finnland verlor innerhalb eines Jahres 17 Prozent seines Bruttosozialproduktes; etwa genauso viel wie das Deutsche Reich und die USA in der Weltwirtschaftskrise von 1928 bis 1931. Die Arbeitslosigkeit schnellte von 3 auf 19 Prozent empor.
    Was war geschehen? Im Grunde war es ganz einfach: Eine Wirtschaftsform hatte sich überlebt. In der Nachkriegsökonomie konnte die finnische Wirtschaft eine komfortable Nische am Rande Europas besetzen. Stahlwerke und große Eisenhütten prägten das Land, Forstwirtschaft und Papierindustrie beschäftigten Zigtausende Menschen. Eine Art Gentlemen’s Agreement zwischen Russland und Finnland machte die finnischen Werke zu Dauerlieferanten der maroden und völlig unproduktiven
Sowjetökonomien. Und

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