Das Buch des Wandels
und Vorträge für Touristen. Southall erhielt eine eigene komfortable Villa und ein Honorar von 12 500 Euro pro Monat. Er durfte sogar seine Freundin mitnehmen. »Ich fühle mich überglücklich!«, sagte der siegreiche Kandidat in alle Kameras. »Das hier ist wirklich der Traum, den man sich nur einmal im Leben erfüllen kann!«
Ein halbes Jahr später führte ein Interview mit Southall in der britischen Boulevardzeitung »Sun« zu einem kleinen Skandal. Er vermisse seinen geliebten Rinderbraten und Yorkshire-Pudding, klagte der Abenteurer. Außerdem habe er Sehnsucht nach den langsamen Sonnenuntergängen Englands. »Diese Insel mag sich eines tropischen Klimas rühmen, aber dunkel wird es schon um acht Uhr abends.« Empört protestierten Australier vor der Tourismusbehörde ihres Landes und forderten Southalls sofortige Entlassung.
Das Phänomen, dem Southall zum Opfer fiel, nennt sich die »hedonistische Tretmühle«. Wir kennen das alle: Genüsse, die uns besonders lustvoll erscheinen, verlieren schnell an Wert. Was heute geil war, ist morgen fade. Die Dosis muss ständig erhöht werden, damit noch ein Genussreiz dabei herauskommt. Der Philosoph Thomas Metzinger sagte über dieses Dilemma: »Wir
sind biologische Systeme, die dazu verdammt sind, ständig nach Glück zu streben, die versuchen müssen, sich so gut wie möglich zu fühlen – nur dummerweise erlauben das Belohnungssystem in unserem Gehirn und unsere Art von emotionalem Selbstmodell keine stabile Form des Wohlfühlens.« 3
Was ist der Sinn des Lebens? Heute würden nicht nur viele junge Leute antworten: Spaß haben. In den Medien wimmelt es von hedonistischen Inszenierungen. Endlose Kochzeremonien. Reisen in Wellnesshotels mit Lotusölmassage durch drei MassagemeisterInnen. Wenn Boris Becker heiratet, erfahren wir die Serviettenmarke des Festessens. Welches Brautkleid trägt die Braut? Aus welcher Wassertiefe kam der Hummer? Welcher Promi ist anwesend – danach misst sich der Status des Bräutigams, wie in der Hirtengesellschaft die Anzahl der Ziegen für die Aussteuer. Klar wird auch kirchlich geheiratet. Aber selbst das geschieht aus sichtbar hedonistischen Gründen – tolles, blütenweißes Design und seeeehr romantisch.
Hedonismus, eine an materiellen Gütern und individueller Luststeigerung orientierte Lebenshaltung (von griechisch hédoné – Vergnügen), dominiert unser westliches Wertesystem. Er treibt unsere Ökonomie voran und ermöglicht eine Event-Lebensperspektive: Wir wollen einmal im Leben die Luxusweltreise. Wir wünschen uns irgendwann einmal das kleine, rote, sexy Cabrio. Wir träumen vom echten Gourmetsex in einem einsamen Schloss im Wald. Oder eben einem tollen Job auf einer tropischen Insel.
Doch wenn wir unser Glück, unsere Lebenszufriedenheit nur an den Event binden, geraten wir in eine gefährliche Falle. Denn dieses Programm sabotiert sich selbst. Die Hölle wäre nichts anderes als eine Ibiza-Strandparty, die nie aufhört, mit Ecstasy ohne Nebenwirkungen. Oder eine Ayurveda-Massage bis ans Ende der Zeit. Wahnsinnig viele tolle Frauen/Männer, schöne Autos, die bis zum Horizont reichen. Essen in 7000 Gängen.
Die Alternative zum Hedonismusprinzip ist das, was Ken Robinson das »Element« nennt. Jene kreative Tätigkeit, die uns
von innen her glücklich macht, weil sie uns geistig wachsen lässt. Dort, wo Coping und individuelle Prägung zusammenkommen, befindet sich der Kern unserer Identität . Lebenskunst ist nichts anderes, als dieses persönliche »Element« aufzuspüren – und sich ihm konsequent hinzugeben. Paul Samuelson, der große Ökonom und Nobelpreisträger, bezeichnete sein Leben stets als »pures Vergnügen«. »Man sollte nie unterschätzen, wie wichtig es ist, früh im Leben jene Arbeit zu finden, die Spiel ist. Das verwandelt potentielle Minderleister in glückliche Krieger!« 4
Von Wellness zu Selfness
Der Begriff »Wellness« taucht zum ersten Mal 1654 als »wealnesse« im »Oxford English Dictionary« auf – eine Bezeichnung für »gute Gesundheit«. Der englische Arzt John Travis entwickelte 1981 das Diagramm eines Zustandes, bei dem ein menschlicher Organismus sich in einer »salutogenetischen Balance« befindet. Auf der Seite links vom Mittelpunkt des Kontinuums werden Störungen bis hin zu akuten und chronischen Krankheiten durch medizinische Maßnahmen behandelt. Rechts vom Mittelpunkt können wir unser Potential erhöhen. Hier entsteht jener Raum der Fitness-, Verwöhn-,
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