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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Eric Erikson beschäftigten sich vor allem mit den frühesten Entwicklungsstufen des Menschen, der Säuglings- und Kleinkindphase. Die Psychoanalyse spricht immer noch in Freud’scher Sprache von der Integration der zersplitterten Teile des Es, Ich und Über-Ich. Erwachsensein bedeutet in dieser Logik kaum mehr als ein Anpassungsprozess. Darin spiegelt sich ein Menschenbild, das unsere Kultur völlig durchformt hat und das tief in den Weltbildern des Industriezeitalters wurzelt: »Wachstum« wird definiert durch die Rollen der Arbeitsfähigkeit und der Reproduktion. Danach kommt Verfall und Akzeptanz des Alterns. That’s it.
    In den siebziger Jahren differenzierten Psychologen wie Robert Kegan die Subjektentwicklung des Menschen weiter aus. Die menschliche Metamorphose ist seitdem nicht mit der Volljährigkeit zu Ende. Sie verläuft durch das ganze Leben in einer Art Spiralbewegung zwischen den Polen der Autonomie und der Bindung. In den letzten Jahren wurde dieses Modell durch die
neue Alterspsychologie ergänzt. Altersforscher wie Paul Baltes und Sherwin B. Nuland definierten neue Phasen der Reifung. Das Dritte und das Vierte Alter, die Auf- und Ausbrüche jenseits der 60-Jahres-Grenze, avancierten zum Medienthema (meistens in der Profanisierung von »Sex im Alter«). Es entstand die Vorstellung der »compressed morbidity«: Ziel wäre es demnach, die Phase von Zerfall und Siechtum so kurz wie möglich zu halten: »Länger fit bleiben, schneller sterben!«
    Aus all diesen Ansätzen will ich ein Modell formulieren, demzufolge jeder Einzelne von uns folgende Stufen der Entwicklung durchlebt – oder verweigert:
    Symbiose: Unser Leben beginnt im Zustand der Abhängigkeit und Bedürftigkeit. Menschen werden »unreif« geboren, ihr Überlebenserfolg hängt wie bei wenigen anderen Spezies von elterlicher Zuneigung ab. Wer sich aus einer stabilen Symbiose mit den Eltern Stück für Stück herauswagen konnte, der entwickelt meist auch die Grundlagen eines »operativen Ich«, einer stabilen Persönlichkeit. Wer hingegen in der frühen Kindheit verlassen, vernachlässigt, missbraucht, zurückgewiesen wurde, wird in seinem weiteren Leben fast unvermeidlich mit Formen von Bindungsneurosen konfrontiert, die nicht nur ein Leben fundamental unglücklich machen können. Er wird in seinen sozialen Beziehungen klammern, erpressen, vernachlässigen, unterdrücken.
    Spontaneität: Schon mit zwei Jahren beginnt die Herrschaft der Wünsche. Wir lernen zu wollen und zu bekommen. Die diversen Trotzphasen dienen dem Training des eigenen Willens. Die Haben-Haben! -Phase ist notwendig für die Ausbildung eines autonomen Ich. Wer sie erfolgreich durchlebt, kann seinen Impulsen und Bedürfnissen eine Richtung geben. Er kennt die eigenen Wünsche und weiß, dass diese nicht immer zu erfüllen beziehungsweise nur im Verbund mit anderen Menschen zu erreichen sind. Er entwickelt Varianten beim Wünschen und weiß, dass es viele Wege zum Ziel gibt. Er kann auch riskieren, das Gewünschte einmal nicht zu bekommen, ohne innerlich zusammenzubrechen.

    Autonomie: In der Pubertät beginnen wir, uns von den Erwachsenen abzukapseln. Wir entwickeln eine eigene Welt, eigene Sinnzusammenhänge, die sich per definitionem von dem als außen und als Zwang empfundenen Erwachsenenwünschen unterscheiden müssen. Diese Verpuppungsphase ist nicht nur normal, sie ist notwendig, damit wir unsere Selbstwirksamkeit entfalten können. Wer sie überspringt – wie etwa früher viele Männer, die vom Königreich der Mutter gleich in den Palast der Ehefrau überwechselten (oder Frauen, die sich schon als Mädchen an einen Partner binden) -, entwickelt nur schwer ein reifes Ich und steuert ziemlich sicher auf eine spätere Katharsis zu, bei der sich die Autonomiewünsche Bahn brechen.
    Beziehung: Irgendwann erreichen wir jene Phase, in der der Horizont der Autonomie so weit wird, dass wir darin nichts mehr erkennen können. Aus den Aufbrüchen werden Routinen, aus den Reisen Eskapaden. Nun kommt jener Wendepunkt, an dem wir via Liebe und Bindung unsere Egozentrik zu relativieren lernen. Liebe kann in Form von Kindern Gestalt annehmen. Oder sich in Passionen ausdrücken, mit denen wir unsere Fähigkeiten in einen größeren Rahmen stellen: Beruf, Freundschaft, Kunst, Musik, soziale Verpflichtungen, Politik. Auf diese Weise entsteht ein neues Kontextsystem, in dem wir unsere Ich-Stärke vor allem in der Verbundenheit mit anderen erfahren und erweitern.
    Autorität: Während

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