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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Überweidung die Folge war. Der gemeinschaftliche Grund mutierte innerhalb weniger Jahre zur Wüste. England war eine der ersten Nationen, die die Commons wieder weitgehend abschaffte (und seine berühmten Hecken zum Schutz des Privateigentums hochzog).
    In seinem Essay »Tragedy of the Commons«, veröffentlicht 1968 in der Zeitschrift Science, beschrieb der Biologe Garrett Hardin einst den Mechanismus dieses Gemeinschaftsversagens – und bezog sich dabei auch auf die damals neu aufkommende Spieltheorie:
    »Der örtliche Schäfer stellt fest, dass die einzig sinnvolle Weise, seinen Wohlstand zu mehren, das Hinzufügen eines Schafes zu seiner Herde ist … Aber alle anderen Schäfer kommen zu demselben Schluss. Das ist die Tragödie: Jeder ist in einem System eingeschlossen, das ihn nötigt, seine Herde zu erweitern – in einer begrenzten Umwelt führt diese Logik zum tragischen Ruin.« 2
    Kommt uns das nicht allzu bekannt vor? Illegale Downloads aus dem Internet, die ganze Branchen zerstören. Spam-Mails, die eins der effektivsten Medien praktisch unbrauchbar machen, Paarbeziehungen, in denen die ständige gegenseitige Defizitdeklaration herrscht (»Ich erwarte von dir … Wenn du nicht zuerst …!!!«). Die Überfischung der Weltmeere … Die Banker der Finanzkrise, die die Schulden aus ihren Fehlspekulationen bei der öffentlichen Hand abladen und dann auf ihren Yachten verschwinden. Sorry, Jungs, wir haben ja nur das Beste gewollt.

    Was verband uns alle im WG-Experiment? Wenn ich mir die Gesichter und Gestalten meiner damaligen WG-Mitbewohner heute ins Gedächtnis rufe (oder auf den wenigen verblassenden Schwarzweißfotos betrachte), scheint sich ein psychologisches Muster abzuzeichnen. Die meisten von uns WG-Bewohnern kamen aus Familien, in denen irgendeine Krise stattgefunden hatte. Der Vater war aus dem Krieg nicht zurückgekehrt, die Mutter depressiv. Manchmal spielte Alkohol eine Rolle oder Scheidungen, in denen man damals keine Übung hatte. Nicht wenige stammten aus Flüchtlingsfamilien, die aus dem Osten Deutschlands in den Westen geflüchtet waren.
    Wir waren Getriebene , Versehrte von gesellschaftlichen Brüchen, die sich in unseren Herkunftsfamilien abgespielt hatten. Wir trugen alle eine unerlöste Wut im Bauch. Einen Schmerz der Enttäuschung. Die Wohngemeinschaften waren nichts anderes als der – unbewusste – Versuch, jene familiäre Harmonie wiederherzustellen, die wir in unserer Kindheit vermisst hatten. Zuneigung, Unterstützung, Nähe, Verstehen – wir nannten das später in ironischer Sponti-Sprache »Streicheleinheiten«. Und so »überweideten« wir konsequent die emotionalen Ressourcen der Gruppe. Und kleideten unsere Defizite in die Politsprache des Solidaritätsanspruchs. Wir forderten von den anderen unbewusst Kompensation für das emotionale Defizit unserer Kindheit. Wir forderten 12 Stück Kuchen, obwohl die ganze Torte nur 10 Portionen hatte.

Das erste Spiel: Kuchenschlacht
    Stellen wir uns einen Kuchen vor. Einen schönen, leckeren Schokoladenkuchen, aufgeteilt in genau zehn gleiche Stücke. Zwei Spieler sitzen sich gegenüber. Ein Schiedsrichter verkündet die Regeln: Jeder darf einen bestimmten Anteil des Kuchens fordern. Dazu legt jeder Spieler seine Forderung auf einem verdeckten Zettel auf den Tisch. Dann werden die Zettel aufgedeckt. Der Kuchen darf
nur gegessen werden, wenn sich der Bedarf nicht widerspricht. Wenn also beide 5 Stücke gefordert haben oder der eine Spieler 8 und der andere 2 Stücke, darf jeder so viele Stücke essen wie gewünscht. Wenn jedoch einer 4 und der andere 8 Stücke fordert, die Summe also über 10 liegt, verschwindet der Kuchen (oder sagen wir: er wird umgehend recycelt). Falls die Summe unter 10 liegt, bekommt der Schiedsrichter den Rest.
    Wir wissen alle, wohin dieses Spiel steuern würde: Nach einigen Zock- und Kommunikationsversuchen (den Kuchen schlechtmachen / auf den besonderen eigenen Hunger und besondere Verdienste bei der Bekämpfung der Schokoladenmafia verweisen / den Schiedsrichter bestechen / weinerlich sein / wahnsinnig freundlich sein) würden sich die Parteien auf die naheliegende Gerechtigkeitsregel einigen: fifty-fifty. Bei 5 zu 5 Stücken hätte jeder den maximalen Nutzen. Es entsteht, wie man in der Sprache der Spieltheorie sagt, eine Stagnation bei aufgeklärtem, rationalem gegenseitigem Selbstinteresse.
    Eine solche Pattsituation bildet die Grundform dessen, was man in der Spieltheorie das Nash-Equilibrium nennt , nach

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