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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Hirnhälfte hat, aber außer einigen sporadischen Gesichtszuckungen überhaupt keine Symptome entwickelte – die im Jahr 2009 Zehnjährige lebt völlig normal und geht aufs Gymnasium. 15
    Andererseits können Erfahrungen und Erlebnisse Hirnstrukturen tatsächlich sehr nachhaltig negativ verändern. Studien mit rumänischen Waisenkindern, die jahrelang völlig vernachlässigt in Gitterbetten eingesperrt waren, belegen, dass die meisten dieser Kinder ihre kognitiven Fähigkeiten selbst dann nicht voll erlangten, wenn sie von liebevollen Adoptiveltern betreut wurden. 16 Bei einem EEG-Test der University of California mit zehnjährigen Kindern aus Armutsfamilien zeigten sich erschreckende Muster im Neocortex: Die Kinder wirkten teilweise, als hätten sie einen Hirnschlag erlitten. 17
    Umgekehrt entwickelten Ratten, die in ihrer frühesten Kindheit täglich für 15 Minuten – nicht mehr, nicht weniger – aus
ihrem Käfig entfernt worden waren, auf Dauer ein besonders stabiles und differenziertes Hirn. Sie waren experimentierfreudiger und weniger ängstlich. Ihre Stressrezeptoren im Gehirn hatten sich durch die Erfahrung, dass die Trennung von der Mutter keine dauerhafte Katastrophe bedeutet – eine Coping-Erfahrung -, deutlich dichter entwickelt als bei vernachlässigten oder überbetreuten Tieren. Damit konnten diese Tiere in späteren Jahren deutlich besser Stress absorbieren, sie waren resilienter. 18
    Der Biologe und Alzheimerforscher Fred Gage (nicht zu verwechseln mit dem berühmten Phineas Gage, dem Bauarbeiter, der durch eine Eisenstange schwer am Kopf verletzt und danach ein lebender Zombie wurde, ein Präzedenzfall der Hirnforschung) 19 machte in den neunziger Jahren eine bahnbrechende Entdeckung: Im Hippocampus, unserer Gedächtnis-Steuer-Zentrale, werden bis ins hohe Alter neue Stammzellen gebildet, die völlig neue (Lern-)Strukturen ausbilden können. Damit war dann auch noch das Bild vom »altersfixierten Gehirn« ad acta gelegt. Freiwillige (nicht durch Stress veranlasste!) körperliche Bewegung, so stellte sich in den zahlreichen Experimenten heraus, ist ein Schlüssel für die Ausbildung dieser Zellen. Und: eine komplexe, anregungsreiche Umwelt. 20
    Dass sich diese Prinzipien auf den Menschen übertragen lassen, lässt sich heute in vielen Versuchen beweisen. »Neu denken lernen« scheint im Licht dieser Untersuchungen eigentlich ganz einfach zu sein. Wir müssen schlicht das tun, was unsere Vorfahren, die Jäger und Sammler, ihr Leben lang taten: freiwillig laufen! Und reisen. Und Zuneigung durch andere Mäuse und Menschen organisieren. Und, nicht zu vergessen, uns Herausforderungen bis ins hohe Alter wählen.

Die Kultur der Reflexion
    Einmal im Jahr findet in der alten Zeppelin-Halle am Bodensee ein merkwürdiges Ritual statt. Hier baute einst Graf von Zeppelin seine riesigen Flugmobile, die von Rio bis New York die Welt eroberten. Hier scheiterte er auch mit seiner Vision eines Luftreiches von Stavanger bis Timbuktu. Doch der Genius Loci des Ortes bleibt bis heute bestehen. Graf Zeppelin war ein Kreativer seiner Zeit. Heute finden hier die »Aufnahmeprüfungen« einer kreativen Universität statt (an der ich das Glück habe, einen Lehrauftrag zu absolvieren), der Zeppelin-Universität Friedrichshafen. Wobei »Aufnahmeprüfung« das falsche Wort ist. Es handelt sich eher um eine Art gegenseitiges Kennenlernen, ein freundliches Auswahlverfahren in der guten Absicht, dass diejenigen, die zueinander passen, auch zueinander finden können.
    In dieser Halle sitzen sie nun, die Kandidaten. Und die Fragen, die jedem Studenten in gleicher Wortwahl vorgelegt werden (sie sind vorher bekannt), scheinen etwas irritierend.
    1. Gibt es einen heute ähnlich großen Irrtum wie die Vorstellung der Welt als Scheibe? Wenn ja, welchen?
    2. Empfehlen Sie unseren ProfessorInnen zwei Bücher oder Filme, damit sie eine bessere Lehre machen.
    3. Wirtschaft: Warum lernt die Wirtschaft nicht aus ihren Krisen?
    4. Kultur: Wird das Theater sterben, nur weil keiner hingeht?
    5. Kommunikation: Wird die Tageszeitung eines Tages im Internet beerdigt?
    6. Politik: Woher weiß der Staat, was privatisiert werden soll – und was nicht?
    7. Bildung: Aktuell findet die größte Bildungsreform seit Humboldt statt – was würden Sie verändern?
    8. Wo irrt Ihr Abiturzeugnis?
    9. Ihre Studierenden-Generation gilt als überangepasst. Welchen Unterschied machen Sie nach dem Studium?
    10. Was ist das beste Argument gegen die

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