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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Konstellationen geht das Spiel auf – der volle Kuchen wird verzehrt. Die »Matches« zwischen Gierigen und Superbescheidenen enden ebenfalls positiv – allerdings wird der Schiedsrichter dabei langsam ziemlich rund und satt.
    Wie viel Kuchen insgesamt real verzehrt wird, hängt von drei Parametern ab: erstens der Verteilung der einzelnen Spielcharaktere
bei Beginn; zweitens dem Wissen der einzelnen Spieler über die Wünsche (den Charakter) der anderen und drittens von der Lernkurve oder auch Kommunikationsquote. Sprechen sich die Spieler ab? Lernen sie sich kennen? Stimmen sie sich aufeinander ab?
    Stellen wir uns noch eine weitere Stufe vor: Die einzelnen Teilnehmer könnten ihre Forderungsstrategien verändern, wenn sie längere Zeit beim Kuchenessen erfolglos blieben. Wir ahnen, wie schnell in diesem Modell die Komplexität explodiert. Wird dieses System mehr Extremspieler hervorbringen, also mehr »Gierige« und »Superbescheidene«? Oder endet es wieder im Nash-Gleichgewicht? Wird am Ende mehr Kuchen recycelt oder gegessen? Es fällt nicht schwer, das Simulationsmodell allegorisch auf die verschiedenen Dimensionen des menschlichen Lebens zu übertragen – dem Kuchen die Gestalt von »Berufserfolg« oder »Liebesglück« oder »akzeptierter Demokratie« oder »Wohlstand« zu verleihen.
    Das Kuchenspiel symbolisiert jenes Regelsystem, in dem in einer Gesellschaft Ressourcen verhandelt und verteilt werden. In den Veränderungen der Regeln und Absprachen spiegelt sich gesellschaftlicher Fortschritt oder Rückschritt. Aber lassen wir die eher primitive Tortenschlacht einstweilen hinter uns. Bringen wir noch etwas mehr über die Conditio humana in Erfahrung.

Kooperativer Egoismus
    Menschen haben als einzige von 180 Primatenarten eine begrenzte Iris und darum herum Weißes im Auge. Bei allen anderen Tieren geht die Pupille nahezu nahtlos in die Augenränder und -lider über. Hat diese Tatsache einen biologischen Sinn? Allerdings: Sie bildet einen zentralen evolutionären Vorteil des Menschen.
    Affen beobachten zwar andere Affen. Aber Menschen sehen auch das Sehen des anderen - sie blicken dorthin, wo der andere
hinblickt . Um auch in dämmerigen Lichtverhältnissen leicht auszumachen, wohin der andere blickt, ist eine begrenzte Iris ein klarer evolutionärer Vorteil. Das Weiße im Auge ist das Selektionsmerkmal unserer Kooperationsfähigkeit! Es ist die Bedingung für das, was Verhaltensbiologen das Prinzip der geteilten Aufmerksamkeit nennen.
    Zwei Schimpansen befinden sich in zwei isolierten Käfigen, die sich in Sichtweite voneinander befinden. In jedem Käfig befinden sich jeweils zwei Hebel, bei denen der eine eine Futtergabe für beide Käfige auslöst, der andere nur Futter im eigenen Käfig »produziert«. Was passiert? Die Schimpansen drücken die Hebel immer per Zufall. Egal, wie der andere schreit und zetert und ob überhaupt jemand im anderen Käfig ist . 4
    Gibt man zwei Schimpansen einen Apparat, mit dem sie nur dann Futter bekommen, wenn sie beim Bedienen kooperieren – etwa zur gleichen Zeit an einem Hebel ziehen, damit sich ein Gitter über einem Bündel Bananen öffnet -, dann kooperieren sie in der Tat. Wenn es allerdings danach um die Verteilung geht, herrscht ausschließlich das Gesetz des Stärkeren. Der Schnellere und Stärkere nimmt sich und lässt dem anderen nichts übrig. Mit der Folge, dass in allen Experimenten der Apparat nach spätestens zwei Versuchen stillgelegt wird. Weil »Affe B« dann nicht mehr mitspielt. Ich bin doch nicht blöd, Mann. Affen können also, ein scheinbares Paradox, lernen, nicht zu kooperieren. Aber sie haben Schwierigkeiten, das Kooperationsspiel zu entwickeln.
    Gibt man zwei kleinen Kindern denselben Apparat (natürlich nicht mit Bananen, sondern Bionicle-Teilen oder politisch unkorrekten Süßigkeiten gefüllt), teilen sie sich die Aufgabe und die Beute. Allerdings selten im Sinne des Equilibriums und auch nicht beim ersten Verhandeln. Die stärkeren Kinder nehmen mehr, geben aber so gut wie immer auch etwas ab. Spätestens dann, wenn sie merken, dass nur Kooperieren und Teilen zu langfristigem Erfolg führt (und wenn die Belohnung von einigem
Interesse ist), verständigen sie sich über die Beuteteilung. Dann kommt es oft sogar vor, dass der Größere dem Kleineren mehr verspricht, damit das Spiel weitergeht.
    Solche Experimente, durchgeführt vom Verhaltensforscher und Entwicklungspsychologen Michael Tomasello, machen den Unterschied zwischen Menschen

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