Das Buch Gabriel: Roman
Parks zirpt und klatscht, verteilt sich hingetupft auf den Raum zwischen den Bäumen, Promenadenmischungen mit Halstüchern treffen auf Wohnungshunde, die alles geben, um ihren wutschnaubenden Frauchen zu entkommen, und ein einsamer Hippie mit Bongos demonstriert der Welt, den Grund für seine Einsamkeit. Auf der Kuppe des Hügels steht ein eindrucksvolles Denkmal, und ich klettere hinauf, weil ich nicht zu früh auf Specht treffen und übereifrig wirken möchte. Beim Hochsteigen denke ich darüber nach, warum ich plötzlich so voller erbaulicher Gefühle bin. So voller Leben sogar. Ich habe allen Grund, mir Sorgen zu machen, und es gilt, schwierige Aufgaben zu bewältigen, doch in dem Wissen, dass diese Aufgaben noch ein Stück entfernt liegen, wandere ich in einer Zwischenwelt umher. Einem vorgeschalteten Limbus.
Wie süß das Leben wäre, wenn es nur aus Momenten wie diesem bestünde.
Ich schreibe das alles dem Brandy und der Sonne zu und laufe über den Mehringdamm in die Bergmannstraße, wo aus Kellern Antiquitäten quellen wie Blut aus den offenen Wunden einer Stadt, die regelmäßig von der Geschichte versehrt wurde. Aus Türen fließen Jahrhunderte von Möbeln, Kleidungsstücken, Pelzen, Kronleuchtern, Bronzeplastiken, Porzellan, Büchern, Musik und Schmuckstücken auf die Straße, ein Dauerflohmarkt, der mir vor lauter Möglichkeiten für das Bankett den Kopf schwirren lässt. Während ich darin schwelge, kommt mir der Fußmarsch nach Tempelhof sehr viel kürzer vor als am Vormittag, das Viertel wirkt vertrauter, freundlicher und voll von neuem Potenzial.
Als der Flughafen dräuend vor mir liegt, betupfe ich mich mit Jicky und beschließe, das Pego nicht auf eigene Faust suchen zu gehen, weil es verdächtig aussehen könnte, in einem kilometerlangen, leer stehenden Monolith rumzuschnüffeln. Stattdessen werde ich einen Kaffee bei der hartgesichtigen Frau oder dem Mädchen trinken, möglicherweise wird eine von ihnen doch noch zugänglicher, was bei Berlinern sehr plötzlich passieren kann, und zeigt mir den Weg zum Club.
Als ich eintreffe, inspiziert die Frau gerade ihre Nägel. Ein Gast sitzt da und liest Zeitung, aus dem Radio knistert der Wetterbericht für die Ostseeküste.
»Einen Kaffee, bitte«, sage ich an der Theke.
Langsam sieht die Frau hoch, ihr Blick bleibt an meinem Anzug hängen. Jeder andere würde das nicht ohne Kommentar tun, zumindest nicht ohne hochgezogene Augenbraue. Sie aber starrt mich einfach unverwandt weiter an. Es schwingt Verachtung mit in diesem Blick. Ich kann die hartgesichtige Frau schon jetzt nicht besonders leiden.
»Mit Milch?« Schließlich schlurft sie zu dem Kaffeeautomaten.
»Nein, danke.«
Ich setze mich an einen leeren Tisch und spüre, wie ein Stromstoß durch meine Nerven fährt. Die Mission kommt jetzt an ihren Dreh- und Angelpunkt. Ich bin froh, noch ein paar Augenblicke Ruhe zu haben und mich sammeln zu können, bevor ich zuschlage. Sogar die Sauer-Frau ist in diesem Zusammenhang eine kleine Wohltat, eine Art menschliches Basislager, bevor ich zu Gerd Specht emporsteige. Während ich eine Zigarette rauche, bestärkt es mich außerdem, dass ich anscheinend nicht derjenige bin, den sie am allerwenigsten leiden kann: Ein näher kommender Einheimischer lässt sie grummeln und bei seinem bloßen Anblick verschwinden. Ich habe Mitleid mit dem Mann, einer bodenständigen, leicht mottenzerfressenen Gestalt, die man sich besser vorstellen kann, wie sie zu Hause bei Kerzenschein Marionetten schnitzt.
Mit einem Zungeschnalzen dreht er sich zu mir um. Mitfühlend schnalze ich zurück. Wir sind jetzt gemeinsam im Club der Sauer-Frau-Opfer. Er wartet trotzdem geduldig am Kioskfenster – er ist mittleren Alters und wirkt resigniert, als ob ihm der Kiosk selbst die Jugend ausgesaugt hätte.
»Wenn Sie Glück haben, ist da noch ein Mädchen drin«, wage ich mich vor.
»Das hoffe ich doch«, sagt er, »sonst könnten wir ja gleich nach Hause gehen.«
Die Sekunden verstreichen, und ich denke über Dinge nach, die an der Lebenskraft zehren – hier verkörpert in der senffarbenen Strickjacke eines Mannes mit langem Gesicht, haarigen Ohren und dichtem, bürstenartigem Schnauzer. Die Hautsäcke unter seinen Augen scheinen minütlich schwerer zu werden, bis schließlich die Frau wieder auftaucht und ihm einen Umschlag über die Theke reicht. Dann schnappt sie sich ihren Mantel, kommt aus dem Kiosk und rauscht in einer Duftwolke von dannen.
Und damit ist mein Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher