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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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bloß nicht, dass die Ostdeutschen über Jobs nur so gestolpert und anschließend einkaufen gegangen sind. Bis heute werden wir anders behandelt.«
    »Sogar heute noch? Das war mir nicht klar.«
    »Nun ja, es sind eben vor allem die Ostdeutschen, die arbeitslos geblieben sind.«
    Das Thema rührt Bodensatz in Gerd auf. Er hält inne, nagt sinnierend auf seiner Lippe, dann schlägt er mit seinen dicken Händen auf den Tisch. »Und du – wie hast du mich gefunden? Als du das Pego erwähnt hast, bin ich fast aus den Latschen gekippt!«
    In gewissen Alpträumen gibt es diesen Punkt, da sollte man nach dem suchen, was einen töten wird, und direkt darauf zusteuern. Das ist ein solcher Moment. Ich atme ein und spiele meine einzige Karte: »Na ja – mein Vater hat gesagt, dass es noch unerledigte Geschäfte gibt.«
    Die Worte hängen zwischen uns in der Luft.
    Nach einer Pause fängt Gerd langsam an zu nicken. »So, und das stimmt sogar. Ich hätte niemals gedacht, dass ich dich noch mal sehen würde. Aber es ist lange her, damals hatten wir noch die alte Mark. Sag deinem Vater, er soll sein Geld behalten, ich möchte es jetzt nicht mehr haben. Bah.«
    Ich sehe in meine leere Tasse.
    »Obwohl ich zugeben muss, dass er mich in einer unschönen Situation zurückgelassen hat. Was er sich genommen hat, war nämlich nicht der Gewinn, sondern das Betriebskapital des Ladens. Schon nach einer Woche war ich in einer verzweifelten Lage. Er hat nicht gesagt, wo er hinging. Der Club lief unter meinem Namen, aber ich hatte nichts mehr, um die Lieferanten zu bezahlen. Das Pego musste zumachen. In Prenzlauer Berg oder Mitte konnte ich danach nichts Neues mehr aufziehen, man hat mich mit der Kneifzange nicht mehr angefasst. Als ich geheiratet habe, hat Giselas Vater uns mit dem Neustart geholfen, und wir ließen den nächsten Laden unter ihrem Namen laufen.«
    »Das tut mir wirklich leid. Das wusste ich nicht.«
    »Ach, mach dir keine Gedanken darum. Hat ja mit dir nichts zu tun. Ich hätte es gar nicht angesprochen, wenn du nicht davon angefangen hättest. Jugendliche Abenteuer, lange her.«
    »Tja«, ich sehe mich um, »Sie haben einen großartigen Ort für den Club gefunden.«
    » Haa …« Sein Greinen rollt ins Jenseits des Hörbaren. »Der nächste Laden.« In dem Moment stellt das Mädchen vom Kiosk aus Blickkontakt mit ihm her und hält ein Päckchen in die Höhe.
    »Wie viele heute?«, fragt er sie.
    »Zwei«, sagt sie.
    »Dann lass den Rest einfach da, das halten die aus. Meine Mutter hat sie immer noch nach einer Woche gegessen, vier Tage sind also völlig in Ordnung. Und wie viele Würstchen?«
    »Drei – plus eins für Gunnar.«
    »Hä? Aber du hast ihm keine Bockwurst gegeben, oder? Denk dran, die mussten wir bei Kaiser’s kaufen, da kostet eine sechzig Cent.«
    »Aber was anderes ist nicht da«, sagt das Mädchen.
    »Doch, sieh noch mal nach, es müssten noch Wiener im Schubfach sein. Anna, du kannst nicht einfach so sechzig Cent verschenken! Beim nächsten Mal kriegt er eine Wiener. Versteck die Bockwurst, wenn du siehst, dass er kommt.« Gerd schaut sie grimmig an, bevor er sich wieder zu mir dreht: »Entschuldige – das ist Anna, sie hilft bei uns aus, bevor sie in den Urlaub fährt – wohin noch mal, Anna? Amerika? So eine Literatursache?«
    »Pff.« Das Mädchen schenkt ihm ein freudloses Lächeln. »Auf die Galapagos-Inseln, eine Öko-Reise. Die Riesenschildkröten – ich hab’s dir ja erst zehn Mal erzählt. Erinnerst du dich nicht mehr an das Video über Lonesome George? Sah der für dich aus wie eine literarische Figur?«
    »Ach ja , die berühmte Schildkröte.« Er nickt und dreht sich zu mir. »Das also ist Anna, und hier sind wir. Kein Club mehr. Nur unser kleiner Café-Imbiss. Na ja, eigentlich eher ein Kiosk. Aber der Flughafen wird bald geschlossen. Wir werden uns etwas anderes suchen müssen. Gisela hätte gern ein Blumengeschäft. Vielleicht würde mir das auch gefallen. Blumen statt Kaffee – haa. «
    Wie betäubt starre ich auf den Kiosk.
    »Gisela«, hilft er mir auf die Sprünge, »meine Frau – die gerade noch hier war.«
    »Ah.« Ich nicke. »Echt? Tut mir leid, wenn ich einen unhöflichen Eindruck hinterlassen habe.«
    »Ach. Sie hat so ihre Tage.«
    »Tja. Irgendwie schade, den Flughafen dichtzumachen.«
    »Ja, oder? Als wir hier angefangen haben, gab es noch so viel Hoffnung für Tempelhof. Die Zahl der Flüge stieg. Jahrelang lief alles bestens – hast du mal die alten Billy-Wilder-Filme

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