Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
Vom Netzwerk:
gekommen. Da die Frau nicht zugänglicher geworden ist, trinke ich, bevor auch noch mein Clubkollege davonschlurft, schnell meinen Kaffee aus und hole bei ihm eine Auskunft ein:
    »Entschuldigen Sie – Sie kennen nicht zufälligerweise einen Pego Club?«
    »Ähm? Was? « Er fährt zusammen.
    »Das Pe-go. Den Pego Club.«
    Der Mann erstarrt und beugt sich mit zusammengekniffenen Augen vor, um mein Gesicht zu betrachten: »Ja, wer ist denn das? Mein Gott! Doch nicht etwa der kleine Gabriel?«
    Whoosh. Ich verwandle mich in Stein. »Herr Specht?«
    Seine Hände wedeln in der Luft herum wie die eines Bänkelsängers. »Anna! Anna!«, ruft er. »Ist das der, der heute Morgen schon mal da war? Wie kommst du drauf, dass er wie ein Österreicher aussieht? Mach uns einen Kaffee!«
    Das Mädchen kommt an die Theke. Als Specht mich am Arm fasst, mich zurück an den Tisch zieht und sich mir gegenüber setzt, stürze ich ab in ein Nichts, in einen wirren Taumel.
    » Haa .« Ein näselnder Winsellaut entfleucht seinem Hals. » Kleiner Dichter – erinnerst du dich? Und wie hieß noch mal diese Ratte?«
    »Frederick«, höre ich eine Stimme sagen. »Die Maus.«
    »Frederick, Frederick. Haa! Und was machst du in Berlin? Wie lange bleibst du?«
    »Hm. Nicht so lange, glaube ich.«
    » Mein Gott . All die Jahre. Wie alt bist du jetzt?«
    »Fünfundzwanzig.«
    »Fünfundzwanzig. Haa. Mein Gott . Und kannst immer noch Deutsch!«
    Und so hüpfen, mal nickend, mal winselnd, Spechts lange, gelbe, kariöse Zähne vor mir herum, bis das erste peinliche Schweigen entsteht: dieser Druckabfall bei einem Wiedersehen, wenn schon nach einer Minute klar wird, dass man sich nichts mehr zu sagen hat.
    Ich spiele mit meiner Tasse und halte mir in Gedanken letzte Bruchstücke von Hoffnung vor Augen. Er könnte immer noch ein Magnat sein – wie Warren Buffet, trotz seiner Milliarden ein völlig normaler Mann. Es könnte immer noch einen Club geben, vielleicht hat er ihn an die nächste Libertin-Generation weitergegeben, soweit ich weiß, hat er sogar einen Sohn. Diese Bescheidenheit würde zu Berlin passen, und zu seinem Ost-Hintergrund. Vielleicht ist seine jetzige Existenz eine Hommage ans Überleben, ein häuslicher Lebensabend nach Jahren wilder Exzesse.
    Allerdings: Gerd Specht umweht der Geruch von ungewaschener Kleidung.
    »Du siehst ja, wie sehr sich alles verändert hat.« Er nickt zu den Fenstern hin nach draußen. »Alles ist jetzt sauber und kommerziell. Aber Berlin ist immer noch arm. ›Arm, aber sexy‹, sagt unser Bürgermeister. Haa. Es ist natürlich trotzdem nicht wie vor der Wiedervereinigung. Das war was, aber wahrscheinlich kannst du dich nicht erinnern. Kannst du dir vorstellen, dass dein Vater der erste Westler war, mit dem ich gesprochen habe? Und eine Woche später hatten wir schon einen Laden. So war das damals. Er brauchte eben einen, der hier gemeldet ist, um den ganzen Behördenkram zu unterschreiben.«
    Gerd lehnt sich zurück, als das Mädchen uns den Kaffee bringt. Da er jetzt ein Thema gefunden hat, um das peinliche Schweigen auszumerzen, redet er einfach weiter, mit diesem wehmütigen Elan eines älteren Menschen, der vor allem in seinen eigenen Erinnerungen schwelgt.
    »Bah, nun ja«, sagt er mit gerunzelter Stirn, »glaub bloß nicht, dass alle hier nur darauf gewartet haben, gerettet zu werden, als die Mauer fiel. Eigentlich waren wir sogar ziemlich beleidigt. Die DDR war eine Idee, an die wir geglaubt hatten. Das tun immer noch viele. Natürlich gab es Probleme, aber welche Regierung hat die nicht. Der Kommunismus fordert eine Gesellschaft ganz schön heraus, viel mehr als der Kapitalismus es tut, und er ist kein System, das man mal eben so installiert. Aber glaub bloß nicht alle Geschichten über den Stasi-Staat, so schlimm war’s auch wieder nicht. Wir haben an unseren Staat geglaubt, jeder war ein Teil davon. Auf der anderen Seite der Mauer bekam man hundert Käsesorten, wir hatten nur drei – aber es hatten eben alle nur diese drei, und das war die Hauptsache. Das hat der Westen nie verstanden. Die haben uns wie Flüchtlinge behandelt, aber so war es nicht. Der Fall der Mauer hat uns nur bewiesen, dass die Leute drüben genauso waren, wie wir gedacht hatten – einzelgängerisch und arrogant. Für die war der Mauerfall bloß eine Gelegenheit, uns zu bevormunden und für den globalen Kapitalismus zu werben. Und jetzt kuck dir das Ganze heute mal an. Die Wiedervereinigung war nicht so gut für uns. Glaub

Weitere Kostenlose Bücher