Das Buch Gabriel: Roman
das ist Bauer – nur Geld, keine Klasse. Typisch Berlin, dass wir gerade dem über den Weg laufen, aber du weißt ja, wie’s ist. Der Mauerfall ist jetzt zwanzig Jahre her, und trotzdem gibt es in unserer Liga erst eine Handvoll Lokale, in die man gehen kann. Ansonsten bleiben nur Pasta und Döner. Oder da oben, wo du wohnst, Joghurt und Bionade. Erstaunlich, dass du überhaupt überlebt hast.«
»Mein Gepäck wiegt zwanzig Kilo, alles Marius.«
Thomas nickt erst und dreht sich dann zu mir. »Du gefällst mir, Gabriel.«
Wir fahren durch ruhige Straßen und halten schließlich schnurrend vor einem Baby-Hochhaus, das sich hinter anderen Gebäuden auf der Stresemannstraße versteckt. Keinerlei Beschilderung ist zu sehen, und die Eingangstür ist verschlossen. Aber hinter einer Scheibe zeichnet sich eine schemenhafte Gestalt ab, die nach draußen schaut. Wir warten einen kleinen Moment, dann geht die Tür auf, und das Gesicht eines jungen Mannes erscheint, das sich bei Thomas’ Anblick aufhellt. Wir werden eingelassen; zuerst zu einer Garderobe, wo eine Frau uns die Mäntel abnimmt, dann geht es in einen gläsernen Aufzug hoch zu einem Penthouse, einem Lokal, dessen Wendeltreppe sich zu einer zweiten Ebene, einem dunklen, experimentellen Raum emporschwingt. Auf drei Seiten öffnen sich bodentiefe Fensterfronten, davor Sofas und Hängesessel, auf denen sich schöne Menschen räkeln und von coolen Rhythmen befächelt werden. Hinter einer Bar, wo Cocktails leuchten und im Takt der Musik pulsieren, flimmern Filme über die einzige Wand des Raumes.
»So«, sagt Thomas, »und jetzt reden wir.«
Wir nehmen Wodka Martinis mit in einen Raucherbereich, wo King-Size-Lederbetten an einer Wand entlang aufgereiht stehen und die gesamte Stadt überblicken. Ein Pärchen und eine Dreiergruppe lümmeln auf zweien der Betten, und wir belegen ein drittes, wo rotes Licht, Rauch und eine gewisse Schwermut für Opiumhöhlenatmosphäre sorgen. Beim Platznehmen lasse ich den Blick durch die Fenster über die niedrige Skyline Berlins schweifen; nur einen Moment später bleibt er an einem Flecken Dunkelheit hängen, einem regelrechten Loch im Ausblick auf die nähere Umgebung. Es sieht aus, als sei ein ganzer Straßenblock vom Weltraum verschluckt worden. Ich mache Thomas darauf aufmerksam.
»Topografie des Terrors«, sagt er.
»Ist das ein Park? Sieht nach krass dichtem Gestrüpp aus, das Licht schafft’s ja noch nicht mal von der Straße auf das Gelände.«
»Das ist das ehemalige Gestapo-Hauptquartier. Das Hotel Prinz Albrecht, wo die SS ihren Sitz hatte, stand da auch. Das war die Adresse von Himmler, Heydrich und Eichmann.«
»War das nicht alles zerstört?« Ich recke meinen Hals, um genauer hinzusehen, aber kein Licht entkommt der Dunkelheit, nicht einmal der Glutpunkt einer Zigarette ist zu sehen. Eine gelöschte Fläche inmitten von Berlins blinkender Landkarte.
»Sicher, am Ende des Krieges. Dann kamen die Russen, und die Geschichte ging weiter. In der DDR wussten sie nicht, was sie damit anfangen sollen. Einen Kinderspielplatz bauen?«
Die Rauschmittel des Abends beginnen, sich am Fuß des nächsten Anstiegs zu sammeln, auf einem Pfad hinauf auf die Hochebenensteppe des Nimbus, wo es gilt, mit weisen Gedanken unter Sternen zu schweifen. Ich beschließe, mir diese Nimbus-Stufe dienstbar zu machen, um den Abend seinem Zweck nicht entgleiten zu lassen.
»Smuts ist in ein Gefängnis verlegt worden«, sage ich.
Thomas lehnt sich zurück und kneift hinter seinem Martini-Glas ein Auge zu. Müßig münzt er Smuts’ Namen in ein deutsches Wort um: » Schmatz «, sagt er. » Schmatz – ein guter Name für einen Koch. Pass auf, der Baske weiß, dass wir uns heute treffen. Augenscheinlich ist die Situation nicht so einfach. Japan ist schwierig und liegt etwas abseits seines Territoriums. Aber er steht zu Smuts. Das solltest du wissen. Vor einiger Zeit hat er mir mal erzählt, wie er ihn im Kempinski in Brügge gefunden hat. Hat Smuts dir das auch mal erzählt? Vielleicht ist ihm gar nicht klar, was für einen Eindruck er damals hinterlassen hat.«
»Ein paar Geschichten aus dem Kempinski kenne ich.«
»Der Baske hatte so das eine oder andere Gerücht gehört, ist hingegangen und hat so getan, als sei er ein einfacher Gast. Er kam spät und verlangte nur amuse-bouches . Und zwar zehn verschiedene amuse-bouches , und offensichtlich hat Smuts seinen Kopf aus der Küche gesteckt, um nachzusehen, wer dieses Franzosen-Arschloch war.
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