Das Buch Gabriel: Roman
Aber weder schlug er ihm seinen Wunsch ab, noch machte er ihm ein paar amuses von der Karte. Nein, er fuhr mit einem Servierwagen voller Zutaten an den Tisch, schnappte sich die hübscheste Kellnerin und dachte sich an Ort und Stelle kleine Gedichte aus. Direkt am Tisch. Beim letzten nahm er ein Scheibchen Fisch, zog ein Feuerzeug und grillte den Fisch zwischen seinen Fingern. Dann fütterte er Didier Laxalt mit der Hand, wie ein Baby. Kannst du dir das vorstellen?«
»Klingt nach Smuts.«
»Hör zu, Didier erzählt nicht über jeden Koch, dem er begegnet, gleich Geschichten. Er schnappt sich Talente und zieht sie nur für sich heran. Talente, die nicht auf die reine Küchenlehre festgelegt sind, sondern sich als Teil der sinnlichen Welt begreifen und aus allem Vorgefundenen etwas machen können. Es ist eine Art zu fliegen. Ich selbst habe so etwas auch erst ein paar Mal miterlebt. Das ist auch der Grund, weshalb der Baske nicht auf Michelin-Sterne aus ist, ja, sie sich sogar lieber wieder aberkennen lässt. Denn ein Stern verlangt Beständigkeit über eine gewisse Zeitspanne. Das ist etwas für Verheiratete, die dasselbe immer und immer wieder tun. Aber wer solche Talente für Routine verschwendet, stellt ihr Licht unter den Scheffel. Der Baske sucht nach dem autonomen Genie, dem wilden, freien Naiven – und natürlich geht er dabei auch das Risiko ein, dass solche Leute auf spektakuläre Art und Weise scheitern. Aber wenn nicht, trotzen sie der Natur eine derart atemberaubende Erfahrung ab, dass niemand sie je wieder vergisst oder Worte der Beschreibung dafür findet. Und das ist, denke ich, auch der Fall bei unserem Freund in Tokio. Ich wollte es einmal laut gesagt haben, damit wir beide verstehen, was uns hier zusammenbringt. Und damit du dir sicher bist, dass er mächtige Freunde hat. Der Baske kommt aus der Fremdenlegion, denk dran. Er lacht vielleicht über ein paar Tage im Gefängnis – aber er weiß auch, was Bruderschaft bedeutet.« Weit ausholend verpasst Thomas mir einen Klaps aufs Bein. »Also, entspann dich. Kopf hoch. Niemand wird ihn einfach so verschwinden lassen.«
Ein Hochgefühl durchflutet mich, eine Art hoffnungsfroher Entschlossenheit. Dieser Master-Limbus ist nicht von Nörglern oder Theoretikern bevölkert, sondern von Männern der Tat.
Thomas leert sich den Martini in den Mund, lässt ihn dort kreisen, schluckt und sucht dann meinen Blick: »Was uns zur entscheidenden Frage bringt.«
Kurz kann ich wegen meines eigenen Glases vor Augen sein Gesicht nicht mehr deutlich erkennen. Aber als ich mir den flüssigen Inhalt zur Gänze in den Mund gekippt, mit der Zunge umgerührt und hinterher noch die Eiswürfel meinen Hals hinab habe gleiten lassen, als meine Zunge still steht und das Glas sich von meiner Lippe löst – stelle ich fest, dass ich von seinen schwarzen Augen durchbohrt werde.
»Das Offensichtliche kann ich mir selbst zusammenreimen«, sagt er. »Aber fassen wir noch mal zusammen, damit wir uns auch richtig verstehen: Smuts spricht von einem dekadenten Club im Flughafen Tempelhof. Wie du wissen wirst, gibt es unter den dort ansässigen merkwürdigen Unternehmen auch ein altes Varieté – aber für die von Smuts beschriebenen Zwecke ziehe ich es nicht in Betracht. Und da der Flughafen diesen Monat schließt, rechne ich auch alle anderen festen Veranstaltungsorte raus. Wir haben uns ja bereits darüber verständigt, dass man einige Gebäudeteile, die sich in öffentlicher Hand befinden, für private Anlässe mieten kann – nach Betriebsschluss auch die Abfertigungshalle. Aber wir beide wissen, dass das Gebäude über Räume verfügt, von denen einige seit Jahren nicht betreten wurden.« Thomas’ Lächeln beginnt zu flackern. »Es läuft also auf einen Punkt hinaus. Worüber ich anfänglich, als mich der Baske nach meiner Meinung gefragt hat, nur gelacht habe.«
Ich fühle mich in eine Ecke des Lounge-Sofas gepresst.
»Aber nach seinem Anruf habe ich noch mal nachgedacht. Ich habe über Smuts’ Behauptung nachgedacht. Diese unglaubliche Behauptung. Die, offen gesagt, fast lächerlich ist: Smuts hat nämlich behauptet, dass ihm mehrere Kilometer des Tempelhofer Flughafens zur Verfügung stünden.«
Mein Puls fängt an zu hämmern.
Thomas lehnt sich vor und fährt fort, fast flüsternd jetzt: »Nachdem ich darüber nachgedacht hatte, habe ich den Basken angerufen und ihm gesagt, dass es eine einzige vorstellbare Möglichkeit gibt, dass es wahr ist. Ein eigentlich
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