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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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vernachlässigbarer Bruchteil einer Wahrscheinlichkeit. Aber wenn es wahr wäre , würden wir im Leben keine zweite derart elektrisierende Gelegenheit bekommen. Und wenn wir dann noch schnell zuschlügen, würde auch das Timing nie mehr perfekter werden. Deswegen, Gabriel Brockwell, eine kleine Frage.«
    Mein Herz bleibt stehen.
    »Nenn jetzt keine Namen«, flüstert er. »Sag mir nur: Hast du Zugang zu dem Komplex? Dem einzigen, den Smuts meinen kann?« Ohne zu blinzeln starrt er mich an.
    Meine Zunge zuckt über die Lippen. Langsam fange ich an zu nicken, als würde ich mir genau diesen Ort vorstellen, als würde ich sein Bild vor meinem geistigen Auge zusammensetzen. »Ja«, höre ich eine Stimme schließlich sagen.
    Thomas lässt sich zurückfallen, sieht flüchtig nach links und rechts. »Wie zum Teufel hast du das geschafft?«
    Ich sitze schweigend da. »Du hast gesagt, nur eine Frage.«
    Wir verharren in absoluter Bewegungslosigkeit und beobachten uns gegenseitig. Dann stürzt er sich auf mich, ringt mich zu Boden, strubbelt mir durch die Haare, boxt mir gegen den Arm. »Du hast es drauf. Lass uns trinken.«
    Whoosh. Mit dem Aufzug fahren wir hinunter zu dem wartenden Wagen, aus dem Thomas zwei edle Zigarettenetuis holt, von denen er mir eines mit dem Wort überreicht: »Überlebensausrüstung.« Dann schnappt er sich die Flasche Rochelt und flitzt los wie ein Junge mit einem Drachen. Wir fliegen um die Ecke und befinden uns auf der Straße, an der sich das schwarze Loch der Topographie des Terrors entlangzieht, mit ineinander verwachsenen, knarzenden Gehölzen und Ranken, die sich auf den Bürgersteig schlängeln. Kurz vor der nächsten Straßenkreuzung drückt ein schmales, mit hohem Gras bewachsenes Stück Niemandsland den Dschungel vom Zaun weg, und hier bleiben wir keuchend stehen. Thomas sieht prüfend die Straße hoch und runter, aber nur sein Mercedes schleicht mit gehörigem Abstand hinter uns her. Wir konzentrieren uns auf den höchstens schulterhohen Zaun, der dafür, dass er eine Art Hölle unter Quarantäne stellt, ziemlich dürftig ist. Thomas findet eine Stelle, wo er zusätzlich noch verbogen ist, und rüttelt daran.
    Mit einem angestrengten Laut überspringt er das Drahtgeflecht und drückt es hinunter, damit ich hinüberklettern kann.
    Wir entschwinden aus der heutigen Zeit.
    Auf dem Weg ins Herz der Wildnis wird unsere Verbindung mit der Stadt schwächer und die Dunkelheit so undurchdringlich, dass wir uns den Weg durch das Gestrüpp ertasten müssen. Es ist der Schauplatz eines Hexenmärchens: Äste drehen und winden sich wie drahtige Fasern, Wurzeln kratzen an unseren Füßen; und wie als warnende Mahnung, besser kehrtzumachen, kommt ein Wind auf, der die Wipfel über uns schüttelt. Thomas lässt sein Handydisplay aufleuchten, und sofort greifen monströse Gehölze nach uns, Schemen von eingeringelten Schlangen und kopfgroßen Spinnen.
    Das alles hat einen Angstnimbus, aber ich kann darin auch den Kern von etwas anderem ausmachen, einer noch jungfräulichen, berauschenden Energie. Als ich versuche, ihr auf die Spur zu kommen, stelle ich Folgendes fest: An diesem Ort ist der Intellekt von der Wahrnehmung abgeschnitten. Wir fliegen mit Autopilot, denn nur das Hirn weiß noch, dass wir uns im Herzen einer Hauptstadt befinden – der Sinneswahrnehmung wird nichts geboten, was das belegen würde, ja, es sieht alles nach dem exakten Gegenteil aus. Diese innere Zerrissenheit zeitigt ihre eigene sensorische Hochspannung, ein bisschen wie das, was Fallschirmspringer empfinden müssen. Es ist, als würden die Sinne dem von der Natur grob zusammenstückelten Gehirn keinen Glauben mehr schenken.
    Zusätzlich sind unsere Atemwege vom Laufen weit geöffnet. Wir saugen Urwaldnebel in uns auf, dessen rauschhafte Energie so klar ist, dass ich mir fast sicher bin, dass Sport Teil des Plans war. Vor mir leuchtet Thomas mit seinem Handy das Dickicht an, und ich frage mich, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich einen Großmeister des Nimbus vor mir habe. Wer sonst wäre mit einer Flasche Schnaps an der furchteinflößendsten Adresse der Welt unterwegs?
    »Achtung.« Er deutet auf ein Loch vor uns.
    Durch eine Bresche im Unterholz geht es über einen Haufen aus Ranken und Schutt in den Untergrund. Wir brauchen ein paar Sekunden, um uns an die Dunkelheit zu gewöhnen, aber dann werden symmetrische Strukturen aus Ziegeln und Beton erkennbar. Eine Lichtung inmitten der Grundmauern, die einen

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