Das Buch Gabriel: Roman
Frau verloren.«
»Oh nein, die Alberne? Oder die Montenegrinerin?«
»Die andere – zusammen mit meinem Haus und meinen Kindern.«
»Uff, klingt kostspielig – mein herzlichstes Beileid.«
»Erinnere mich bloß nicht daran – ich wohne schon seit einer Woche im Adlon. Sie lässt mich nicht mehr ins Haus. Ich brauch Wein – sie sollen noch ein Glas bringen.«
»Nimm meins.« Thomas füllt das Glas.
»Schon gehört, wer wegen Lehman vor die Hunde gegangen ist?«
»Ssch, Werner, nicht hier.« Thomas sieht sich um.
»Was? Das ist längst keine Neuigkeit mehr, die Devisenhändler reden über nichts anderes. Madoff zieht die ganze Presse. Und in der Zwischenzeit kannst du zusehen, wie überall die Hintertüren auffliegen. Sogar bei der Weltbank soll Richtung 2012 eine Zeitbombe ticken. Weißt du, woher ich das weiß? Bei denen ist auch die Hintertür aufgegangen. Keine Ahnung, wohin die rennen wollen.«
»Kommt drauf an, wie groß die Bombe ist«, sagt Thomas. »Aber uns kann das ohnehin egal sein.«
»Uns kann das egal sein? Das ist das Ende der Theorien, Brandy. Diese ersten Crashs sind nur der Tropfen auf dem heißen Stein. Versuch mal, in diesen Tagen in Zürich ein Freizeichen zu kriegen, du schaffst es nicht – die Leitungen sind total überlastet von den eingehenden Barzahlungen.«
»Sagen wir doch einfach: Es ist eine Umstrukturierung.« Bedächtig legt Thomas seine gefaltete Serviette auf den Tisch.
»Eine Umstrukturierung! Zurück zur Subsistenzwirtschaft vielleicht. Oder zum Jagen und Sammeln. Willst du wissen, was ich über die Bank of Scotland gehört habe?«
»Wir wollten eigentlich gerade gehen.« Thomas erhebt sich. »Das ist übrigens Rufus – ein Freund von einem Freund, dem ich zufällig über den Weg gelaufen bin. Aber jetzt muss ich erstmal eine Stange Wasser in die Ecke stellen.«
»Ihr geht schon?«, ruft Werner. »Stinke ich seit Neuestem oder was?«
Als Thomas darauf nichts erwidert, fährt der Eindringling fort, unseren Wein in sich hineinzuschütten. Irgendwann grummelt er: »Rufus. Wie kommt man denn zu so einen Namen?«
»Fragen Sie nicht mich.«
Er starrt mich an. Dann mümmelt er weiter unser Brot weg.
Die Stimmung am Tisch ist gestört. Thomas’ Instinkte sind vollkommen richtig. Die Zivilisiertheit, die eine überaus empfindliche Textur haben muss und vielleicht sogar nur gasförmig ist, hat sich verflüchtigt. Nachdem ich minutenlang Zeuge davon werde, wie Werner sich den Rest von unserem Brot einverleibt und schlürfend wie ein Schwein unseren Wein austrinkt, starte ich einen Gesprächsversuch:
»Habe ich richtig gehört, Sie haben Brandy zu ihm gesagt?«
»Ja«, grummelt er. »Das Leben ist viel zu kurz, um sich seinen ganzen Namen zu merken. Georg Philip Frederick Florian von Brandenburg-Stendal-Sachsen-und-keine-verdammte-Ahnung-was-noch. Der braucht eine Visitenkarte, die einen Meter lang ist. Der scheiß Kleine Prinz, hat noch nie eine Frau mit Haaren am Arsch gesehen.«
Thomas kommt gerade rechtzeitig zurück, um das zu hören, und bedeutet mir aufzustehen. »Im Gegensatz zu dir kann ich einen Frauenarsch von einem Männerarsch unterscheiden.«
»Verpiss dich.« Werner trinkt den letzten Tropfen Wein, und wir lassen ihn sitzen, während er eine Mutter und deren Tochter dreckig angrinst.
Als wir Richtung Ausgang gehen, nickt uns die Belegschaft zu. Im Vorbeigehen schnappt sich Thomas von einem Servierwagen eine volle Flasche Rochelt Vogelbeere und klemmt sie sich unter den Arm. »Herr Bauer übernimmt die Rechnung«, lächelt er. »Das hier gehört dazu.«
»Selbstverständlich, Herr Stendal.«
Als wir draußen sind, drückt er eine Taste auf seinem Handy, und als wir wieder oben an der Friedrichstraße stehen, ist der Mercedes schon da.
»Dass man zu Arschlöchern höflich sein muss«, sagt er und steigt seufzend ein, »ist eine der Schattenseiten der Geschäftswelt. Schade ums Abendessen. Dass Bauer hier aufläuft, ist ungewöhnlich – normalerweise ist er drüben im Borchardt. Entspricht mehr seinem Temperament. Einmal hat er den Basken mit rübergenommen. Schlechte Idee. Da hat der Herr Kapitän doch gedacht, der Baske verstünde kein Deutsch und hat ihm vor seiner weiblichen Begleitung die Schuld für einen Fehler mit dem Tisch in die Schuhe geschoben. Was für ein schlechter Ton, unglaublich.«
»Ein Söldner der Sünde«, sage ich bedeutungsschwanger, verstehe mich im Grunde aber selbst nicht.
Thomas sieht trotzdem zu mir herüber. »Genau
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