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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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faulig.
    Thomas reicht mir eine Zigarette, und ich klammere mich an sie wie an einen Rettungsring. Ihre Spitze brennt Löcher in die Dunkelheit, und wenn ich sie kurz stillhalte, bleiben flammende Kleckse zurück, die nicht mehr weggehen. Der Nimbus fordert seinen Tribut. Ich versuche, die Zigarette über meinem Gesicht ruhig zu halten und daran zu ziehen, ohne hinzusehen. Doch dann kommen Stimmen. Es japst und kichert im Dunkeln. Zwei Frauen treffen ein, und eine beugt sich zu mir hinab und vergräbt ihre Hände in meinem Körper, verteilt meine Essenzen über die Ruine. Mit ihrer Zunge sticht sie in sie hinein, und der Dunst der Erde vermengt sich mit Vaginalschweiß und dem Bouquet von Küssen, die Dünste beizen uns, legen sich scharf auf unsere Haut, pressen uns schmatzend ineinander, bis unsere Säfte zu Boden laufen und wir gemeinsam sterben, um hier im Schoß der Natur zu verrotten. Ah, es ist ein Schlachtschiff von einem Nimbus.
    Nie wieder werden meine Einzelbestandteile sauber zusammenpassen.
    Dann übermannt mich der unruhige Schlaf des Erkalteten, der Schlaf des Gewürms, und hält mich in seinen Armen, bis ich in einem anderen Leben erwache.
    Licht piekst durch das Blätterdach. Die gebieterische Natur lockert ihren Griff, ist doch die Nacht ihr Reich, weil sie sich besser zum Töten und Verwunden eignet. Jetzt verspotten die Speichellecker der Natur, die Vögel, jene Seelen, die vor Anbruch des Tages gestorben sind. Ein Mädchen ist bei mir. Ich schmiege mich an sie und taste nach einem Hintern, zwischen dessen Backen ich eine Hand schieben kann, dorthin, wo noch Weichheit und Wärme sind. Thomas liegt mit weit von sich gestreckten Gliedern neben mir, eine andere Frau hängt wie ein nasser Sack über ihm und fängt gerade an, sich zu regen. Wir sind hosenlos. Ein gepunkteter Slip weht in den Wipfeln über uns an einem Ast.
    Nadeln aus Sonnenschein durchbohren die Blätter.
    Thomas’ Mädchen hat dicke Lippen. Die Wimpertusche ist auf ihren Wangen verlaufen. Sie streckt die Hand aus, um einen Korbkoffer durch die Blätter heranzuziehen, dem Thomas Injektionsbeutel mit Schläuchen entnimmt. Er hängt sie über unseren Köpfen an einen Baum, und Pfirsichnektar entströmt ihnen und lässt uns blinzeln, als er uns in den Mund läuft. Dann taucht ein armenischer Weinbrand auf, und wie in einer Notaufnahme folgt ein mehrstufiges Therapieverfahren, das unsere Körper im Schnelldurchlauf durch Äußerungsformen von Übelkeit, Kopfschmerz, Benommenheit, Angst, Lust und schließlich Hunger jagt. An diesem Punkt angelangt, löffelt Thomas uns Kokain in die Nase, bei den Mädchen angefangen.
    »Hier«, sagt er, »weil ihr nur Objekte für uns seid.«
    »Gott sei Dank«, sagt das Mädchen schniefend, »sonst müssten wir noch so tun, als würden wir euch respektieren.«
    Sonnenlicht überstäubt dieses Plateau der Erholung. Die Luft schmeckt frisch gereinigt. Wir fühlen uns wie Berlin: nach heftiger Bombardierung bei lebendigem Leibe aufgewacht. Dann spendet Ingwer-Limetten-Schokolade von Lauenstein neue Hoffnung, Zigaretten erwecken den Humor, und am Ende fällt mir sogar auf, dass meine weibliche Begleitung stechend blaue Augen hat. Auf diesen Pfeilern errichten die Instanzen des Lebens eine provisorische Herrschaft, die stabil genug ist, um eine wilde Knutscherei auszulösen, die solange dauert, bis aus dem Korb von der Natur perfekt gekühltes Bier auftaucht. Motiviert von dieser beherzten Therapie wirbeln wir – der Aristokrat, die Sphinx und die ranken Mägdelein – kurz darauf wie Nymphen und Satyre aus der Unterwelt empor.
    Auf der Anhalter Straße ist früher Morgen. Die Stadt und das Sonnenlicht treffen uns wie ein Beckenschlag. Ein Stück die Straße hoch steht wartend unser Wagen, mit einer neuen Fahrerin. Und genau in diesem Moment habe ich eine Epiphanie von solch monströser Größenordnung und blendender Wirkung, dass es sich anfühlt, als hätte sich meine Haut in der Sonne von außen nach innen gestülpt, als wären meine Innereien Magneten, die unübersehbare Mengen an Glücksfällen anziehen. Sie lautet: Alles kann passieren, wenn ich nur will.
    Der Master hat meine gesammelten Zweifel zur Hölle gebombt.
    Ein dekadentes Bankett im Flughafen Tempelhof – warum eigentlich nicht?
    »Gleisdreieck!« , singen die Mädchen. »Gleisdreieck!« Wir lassen den Korb stehen und fliegen über leere Straßen bis zu einer sandigen, mit Gebüsch bestandenen Prärie, die sich aus dem Nirgendwo auftürmt,

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