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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Heamon
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organisieren. Ich würde, rief ich, gern ein paar Schaufenster einschmeißen, weil sie so hässlich waren und ich Glasscherben toll fand. Auf der Party, auch in der Küche, waren unbekannte Leute, die aufmerksam zuhörten. Am nächsten Morgen wachte ich mit einem Gefühl von Scham auf, wie immer, wenn man sich betrinkt, einem Gefühl, das meist mit reichlich Zitronensäure und Schlaf kuriert wird. Aber die Scham blieb eine ganze Weile, hat sich im Grunde bis heute gehalten.
    In der Woche darauf bekam ich einen Anruf der Staatssicherheit, die mich freundlich bat, einmal vorbeizuschauen, eine Einladung der Sorte, die man nicht ausschlägt. Dreizehn Stunden dauerte das Verhör. Dabei stellte sich heraus, dass die anderen Partygäste das gastliche Haus der Staatssicherheit bereits aufgesucht hatten oder noch erscheinen würden. Die Einzelheiten spare ich hier lieber aus. Sagen wir, dass die Guter-Cop-böser-Cop-Strategie vermutlich auf der ganzen Welt praktiziert wird. Beide Vernehmer wussten alles (die Spitzel in der Küche hatten aufmerksam zugehört), und sie hatten ein großes, ein riesengroßes Problem mit der Party. In meiner Naivität nahm ich an, dass sie, wenn ich erklärte, dass es nur eine Performance war, allenfalls ein schlechter Scherz, und ich mich von meinen Demonstrationsfantasien distanzierte, uns lediglich einen Rüffel erteilen oder unseren Eltern empfehlen würden, uns eine Tracht Prügel zu geben, und uns dann in unsere nihilistischen Buden gehen lassen würden. Der » gute « Bulle wollte wissen, was ich von der wachsenden faschistischen Neigung unter jugoslawischen Jugendlichen hielt. Ich hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte, wandte mich aber nachdrücklich gegen solche Tendenzen. Er schien nicht sehr überzeugt. Da ich eine Grippe hatte, ging ich oft zur Toilette (von innen nicht abschließbar, das Fenster vergittert), während draußen der gute Bulle wartete und aufpasste, dass ich mir nicht die Pulsadern aufschnitt oder den Kopf an der Kloschüssel blutig schlug. Ich betrachtete mich im Spiegel (den ich hätte zerbrechen können, um mir den Hals aufzuschneiden) und dachte: Schau dir dieses dumme Pickelgesicht an, diesen benebelten Ausdruck – kann mich denn irgendjemand für gefährlich, ja, für einen Nazi halten? Am Ende ließen sie uns alle laufen, mit Handgelenken, die von den vielen Schlägen ganz geschwollen waren. Meine Mutter war zu Verwandten verreist, mein Vater in Äthiopien. ( » Wir schicken ihn nach Äthiopien « , sagte der böse Cop, » und zum Dank verhältst du dich so? « ) Beiden erzählte ich nichts von dem Verhör. Ich nahm an, die Sache werde sich irgendwann von allein erledigen.
    Pustekuchen. Einige Wochen später erhielt der Sarajevo-Korrespondent der Belgrader Zeitung Politika – die sich anschickte, die hysterisch-nationalistische Stimme des Milošević-Regimes zu werden – einen anonymen Brief mit einem Bericht über eine Geburtstagsfeier im Haus einer prominenten Sarajevoer Familie. Nazisymbole seien gezeigt und Werte gepredigt worden, die in die dunkelsten Ecken der Geschichte gehörten und allem widersprächen, was unserer Gesellschaft heilig sei. In Sarajevo, der Welthauptstadt des Klatsches, breiteten sich Gerüchte über die Party aus, wer daran teilgenommen und wo sie stattgefunden hatte. Die Behörden, die meist nach der Belgrader Pfeife tanzten, informierten die Genossen auf Parteiversammlungen. Auch meine Mutter nahm an einer solchen Versammlung teil, auf der, ohne Nennung konkreter Namen, die Vorgänge auf der Party dank der zuverlässigen Arbeit der Staatssicherheit in allen Einzelheiten beschrieben wurden. Meiner Mutter blieb fast das Herz stehen, als sie sich erinnerte, dass ich mit den geliehenen Stiefeln zu der Party gegangen war (deren Motto ich für mich behalten hatte), und ihr klar wurde, dass ihre beiden Kinder an der Party teilgenommen hatten. Sie kam erschüttert nach Hause, ich legte ein umfassendes Geständnis ab und hatte die ganze Zeit Angst, dass sie zusammenbricht. Ihr Haar wurde über Nacht grau, und ich fürchte, wohl nur wegen meiner Eskapaden.
    Sofort veröffentlichten die Sarajevoer Tageszeitungen Briefe besorgter Bürger, von denen einige bestimmt Mitarbeiter der Staatssicherheit waren. Viele verlangten die Bekanntgabe der Namen derjenigen, die an einem Nazitreffen in Sarajevo teilgenommen hatten, damit das Krebsgeschwür im Körper des Sozialismus sofort und gnadenlos entfernt werden könne. Auf Druck der folgsamen

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