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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Heamon
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müßiggängerischen Elite bestand, bemerkte nicht, dass » 4’33’’ « lief, interessierte sich nicht für die Musik in seinen Köpfen, denn alle betranken sich schon hemmungslos. Der Künstler, der für seinen Auftritt in Sarajevo den Familienurlaub geopfert und das Risiko einer Scheidung in Kauf genommen hatte, trat nun ans Mikrofon. Die paar Anwesenden, die zufällig zur Bühne blickten, sahen einen wuschelköpfigen Mann, der vor dem Mikrofon eine Apfelsine und eine Banane verspeiste – keiner wusste, dass dies John Cages Komposition » An Orange and a Banana « war.
    Irritierend war nur, dass sich die Elite nicht irritieren ließ. Also beschlossen wir, selbst an den Abenden, an denen bloß Platten aufgelegt wurden, bis an die Schmerzgrenze zu gehen. DJ Guša spielte Frank Zappa, Yoko Ono und Einstürzende Neubauten, die ja gern Kettensägen und Bohrmaschinen verwendeten. Die Elite gab sich unbeeindruckt, kam aber nicht mehr so zahlreich – wir wollten, dass es ihnen richtig wehtat. Das Konzept kam bei den sozialistischen Hippies nicht besonders gut an.
    Das Ende des Clubs Nolens Volens hatte wie üblich mit » internen Differenzen « zu tun – einige fanden, dass wir zu viele Kompromisse gemacht hatten. Der Abstieg in bourgeoise Mittelmäßigkeit hatte natürlich mit dem Verzicht auf die Taschenlampen-Hunde begonnen. Bevor wir endgültig aufgaben, überlegten wir, für die letzte Vorstellung tollwütige Hunde heranzuziehen. Doch es endete nicht mit irrem Gebell, sondern mit elendem Gewinsel.
    Anschließend versanken wir in allgemeinem Überdruss. Ich schrieb weinerliche Lyrik und hatte am Ende rund tausend furchtbare Gedichte zusammen, die zwischen Langeweile und Sinnlosigkeit schwankten, durchsetzt mit halluzinatorischen Bildern von Tod und Selbstmord. Wie viele junge Menschen, die in der Sicherheit des Sozialismus aufwuchsen, war ich ein Nihilist und wohnte bei den Eltern. Ich überlegte sogar, eine Anthologie irrelevanter Lyrik zusammenzustellen, weil dies, wie ich ahnte, meine einzige Chance war, jemals veröffentlicht zu werden. Isidora war bereit, das Projekt zu übernehmen, doch es wurde nichts daraus, obwohl wir von einem Haufen irrelevanter Lyrik umgeben waren. Es gab nichts zu tun, und wir wussten einfach nicht, wie wir es anfangen sollten.
    Die Geburtstagsparty
    Isidoras zwanzigster Geburtstag stand bevor. Es sollte aber nicht die übliche Party mit Kanapees, Alkohol und Sex auf der Toilette sein. Normalität fand sie öde. Ihr schwebte eher eine Art Performance vor. Sie schwankte zwischen einer » fourieristischen Orgie « (was mir am besten gefallen hätte) und einer Nazi-Cocktailparty, wie sie in den patriotisch korrekten Filmen des sozialistischen Jugoslawien vorgeführt wurden – die Deutschen, arrogante, dekadente Arschlöcher in makellosen Uniformen, die sich 1943 mit lokalen Huren und Verrätern amüsieren, die ihnen die polierten Stiefel lecken. Aber ein junger kommunistischer Spion hat sich in den innersten Kreis eingeschlichen und wird dafür sorgen, dass sie alle am Ende büßen. Aus irgendeinem Grund entschied sich Isidora dann doch für die Party und nicht für die Orgie.
    Die Geburtstagsparty fand am 13. Dezember 1986 statt. Die jungen Männer hatten schwarze Hemden an und Brillantine im Haar. Die jungen Frauen trugen Kleider, die als Abendkleider durchgehen konnten, während meine Schwester, die die junge Kommunistin geben sollte, in der üblichen Pionieraufmachung erschien. Die Party sollte irgendwann in den frühen Vierzigern angesiedelt sein, nach dem Beginn der deutschen Besatzung. Es gab all die Dekadenz, die wir aus dem Kino kannten, und auch einige pseudonihilistische Einfälle. Die Kanapees waren mit Mayonnaise-Hakenkreuzen versehen, an der Wand stand die Parole » In Cock We Trust « , in der Toilette fand eine rituelle Verbrennung von Nietzsches Ecce Homo statt, ein Zimmer war als Gefängniszelle hergerichtet, in der meine Schwester, die junge Kommunistin, gefangengehalten wurde. Guša und ich stritten uns um einen Ochsenziemer; Veba (der heute in Montreal lebt) und ich sangen, wie auf jeder Party, traurig-schöne kommunistische Lieder über erschossene Streikende; ich trug Stiefel, da ich einen ukrainischen Kollaborateur spielen sollte, und trank Wodka aus einer Tasse. In der Küche (auf Partys bin ich immer in der Küche zu finden) diskutierten wir über die Abschaffung des Tito-Kults und die entsprechenden staatlichen Rituale. Wir wollten Demonstrationen

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