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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Heamon
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und Prosa sich gut in einer Anthologie irrelevanter Literatur gemacht hätte, die später aber als extreme Kriegshetzer hervortraten. Ich teilte die Story also in sieben Folgen auf, entsprechend den drei Minuten WUUGESH , und schrieb für jede Folge eine Vorbemerkung, in der ich mit fester Expertenstimme betonte, dass ich Historiker sei und Alfons Kauders eine historische Figur, mit der ich mich intensiv beschäftigt hätte. In einer Vorbemerkung berichtete ich, dass ich nach längeren Recherchen in sowjetischen Archiven, wo ich auf interessante Dokumente über Kauders gestoßen sei, nun wieder zurückgekehrt sei. Ein andermal informierte ich die Hörer, dass ich gerade aus Italien zurückgekehrt sei, wo ich Gast beim Parteitag der Transnationalen Pornographischen Partei gewesen sei, deren Programm auf den Lehren des großen Alfons Kauders basierte. Ein andermal zitierte ich aus Briefen imaginärer Leser, die meine für einen Historiker unerlässliche Unerschrockenheit lobten und vorschlugen, mich zum Direktor des Radiosenders zu ernennen. Meist hatte ich den Eindruck, dass kein Mensch wusste, was ich trieb, da niemand WUUGESH hörte – abgesehen von meinen Freunden, die mir großzügigerweise den Programmplatz zur Verfügung stellten, und jenen Hörern, die keine Chance hatten, rasch einen anderen Sender zu suchen, da alles ganz schnell vorbei war. (Eine Folge dauerte siebenundzwanzig Sekunden, das war kürzer als die Erkennungsmelodie von WUUGESH .) Mir war das egal, denn ich wollte weder den guten noch den bösen Cop aufscheuchen.
    Nachdem sämtliche sieben Folgen gesendet waren, nahm ich die ganze Geschichte auf, las den Text mit meiner Nuschelstimme (für meine Freunde war es die schlechteste Radiostimme, die je in Bosnien zu hören war) und unterlegte ihn mit O-Tönen – Ausschnitten aus Reden von Hitler und Stalin, Begeisterungschören höriger Massen, kommunistischen Kampfliedern, » Lili Marleen « , der ganzen grauenhaften Tonspur des zwanzigsten Jahrhunderts. Wir sendeten das Ganze in einem Stück, gute zwanzig Minuten, ohne Unterbrechungen (eine Form von Radiosuizid) in Zokas und Nevens Programm. Abschließend stellten sie mich als Studiogast vor, noch immer Historiker. Ich bat meine Freunde, keinesfalls in Gelächter auszubrechen (die Geschichte war sehr komisch). Sie lasen die Leserbriefe vor, die ich selbst geschrieben hatte, ein paarmal imitierte ich die Empörung, die mir nach der Geburtstagsparty entgegengeschlagen war. Ein Leserbriefschreiber verlangte, ich und meinesgleichen sollten aufgeknüpft werden, weil wir uns über das heilige Erbe der Nation lustig machten. Ein anderer forderte mehr Respekt vor Pferden (Alfons Kauders hasste Pferde), denn sie zeigten uns den Wert schwerer Arbeit. Ein dritter wehrte sich gegen die Darstellung von Gavrilo Princip, der 1914 das Attentat auf Erzherzog Ferdinand verübt hatte, und wies darauf hin, dass Princip sich vor dem Anschlag definitiv nicht in die Hose gemacht habe.
    Dann konnten die Hörer anrufen. Ich hatte geglaubt, dass a) niemand sich für Kauders interessieren würde, dass b) diejenigen, die tatsächlich interessiert waren, die Serie dumm finden würden und c) dass all jene, die die Geschichte glaubten, einfach ignorante Knalltüten waren, die zwischen Geschichte, Fantasie und Radioprogramm nicht unterscheiden konnten. Ich war nicht vorbereitet auf Fragen oder Kritik und hatte auch nicht vor, weiterhin mit falschen und dubiosen Fakten zu operieren. Doch die Telefone im Studio liefen etwa eine Stunde lang heiß. Die meisten Hörer hatten mir die Kauders-Geschichte abgenommen und stellten nun knifflige Fragen. Ein Arzt wies darauf hin, dass man sich nicht den eigenen Blinddarm herausschneiden könne, wie ich das von Kauders behauptet hatte. Ein Hörer sagte, dass er die Enzyklopädie der Forstwissenschaft in der Hand habe, Kauders dort aber nicht erwähnt werde, obwohl ich von einem ausführlichen Artikel über Kauders gesprochen hatte. Ich erfand plausible Antworten, lachte kein einziges Mal, war ganz der Historiker und befürchtete die ganze Zeit (wie wahrscheinlich alle Schauspieler), dass meine Tarnung auffliegen und das Publikum die reale Person hinter meiner Maske erkennen würde, weil meine Darbietung so leicht zu durchschauen war. Immerhin überwand ich die Angst, der gute oder der böse Bulle (wahrscheinlich eher der böse) könnte anrufen und mich sofort in das Büro der Staatssicherheit bestellen.
    Meine größte Sorge war aber, dass ein

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