Das Buch meiner Leben
wirren spätpubertären Fantasien. Erst später begriff ich, dass wir selbst streunende Hunde mit Taschenlampen gewesen waren, und dann war die Veterinäraufsicht gekommen, und in Erinnerung blieben einzig die Hundehaufen.
Noch Jahre später begegnete ich Leuten, die weiterhin überzeugt waren, dass die Geburtstagsfeier eine faschistische Versammlung gewesen sei und wir die Todesstrafe verdient hätten. Verständlicherweise wies ich nicht immer darauf hin, dass ich seinerzeit mitgemacht hatte. Während einer Reserveübung im Gebirge bei Sarajevo saß ich einmal mit anderen betrunkenen Reservisten am Lagerfeuer, die allesamt fanden, dass die Partyteilnehmer mindestens eine anständige Tracht Prügel verdient hätten. Und ich stimmte ihnen zu, erklärte sogar, dass man sie aufhängen sollte, und steigerte mich richtig hinein in meine Empörung. Solche Leute, sagte ich, sollte man foltern, worauf meine entfernten Waffenbrüder eifrig nickten. In diesem Moment wurde ich ein anderer. Ich verwandelte mich für kurze Zeit in meinen Feind, was erschreckend und befreiend war. Darauf trinken wir, riefen die Reservisten, und genau das taten wir.
Die Zweifel an der Realität der ganzen Sache nagten lange an mir. Dass Isidora, nunmehr in Belgrad, am Ende schließlich eine überzeugte Faschistin wurde, machte es nicht leichter. In den Neunzigern war Belgrad ein fruchtbarer Boden für ganz üble Faschisten, und dort lebte sie nun. Sie veranstaltete öffentliche Performances, die die reiche Tradition des serbischen Faschismus feierten. Sie war mit einem Typen liiert, der später als Anführer der Weißen Adler hervortrat, einer Gruppe brutaler Schläger, die während des Krieges in Kroatien und Bosnien aktiv waren. Später schrieb sie ihre Memoiren mit dem Titel » Verlobte eines Kriegsverbrechers « . Wir waren schon lange nicht mehr befreundet, aber ich fragte mich trotzdem, was da passiert war – war die Nazi-Party ein Einfall ihrer faschistischen Seite, von der ich nichts wusste? Vielleicht hatte ich, geblendet von den endlosen Möglichkeiten irrelevanter Lyrik, nicht gesehen, was sie gesehen hatte. Vielleicht war ich nur eine Figur in ihrem Schachmusical gewesen. Vielleicht war mein Leben wie eine dieser Marienfiguren gewesen, die in einem Supermarkt in New Mexico auftauchen – sichtbar nur für die Gläubigen, lächerlich für alle anderen.
Leben und Werk von Alfons Kauders
1987, nach dem Fiasko mit der Geburtstagsparty, begann ich bei einem Radiosender in Sarajevo zu arbeiten, in der für junge Hörer zuständigen Abteilung. Sie hieß Omladinski program (Jugendprogramm), und alle waren wirklich sehr jung, hatten kaum oder gar keine Radioerfahrung. Bei meiner ersten Bewerbung im Frühjahr, als die Geburtstagsparty noch immer Stadtgespräch war, hatte es nicht geklappt, doch im Herbst wurde ich dann genommen, trotz meiner nuscheligen, wenig mikrofongeeigneten Stimme. Wir genossen eine gewisse Freiheit, da politisch einiges in Bewegung geraten war, aber auch, weil wir als namenlose Leute notfalls rausgeworfen werden konnten. Ich berichtete über kulturelle Angelegenheiten, schrieb gelegentlich kritische Texte über staatliche und andere Idiotien, die ich dann am Mikrofon vorlas. Bald lieferte ich, im Tonfall unanfechtbaren (und unfundierten) Fachwissens, arrogante Film- und Buchrezensionen.
Parallel dazu schrieb ich kurze Geschichten. Ich verlangte und erhielt drei, vier Minuten pro Woche, die ich dafür verwendete, meine Storys in der recht populären Sendung meiner Freunde Zoka und Neven (heute in Brünn beziehungsweise London) unterzubringen. Das Ganze hieß » Wahre und unwahre Geschichten, erzählt von Sascha Hemon « ( WUUGESH ). Meine Familie, der schon das Geburtstagsparty-Debakel furchtbar unangenehm gewesen war, fand meine Geschichten manchmal peinlich, denn ich erzählte beispielsweise von meinem Cousin, einem Ukrainer, der Beine und Arme verloren hatte und ein elendes Leben führte, bis er einen Job bei einem Zirkus bekam, wo er allabendlich von Elefanten wie ein Ball durch die Luft geworfen wird.
Etwa in der Zeit schrieb ich die Geschichte » Leben und Werk von Alfons Kauders « . Ich ahnte, dass sie kaum zu veröffentlichen war, denn ich machte mich darin über Tito lustig, es ging um Sex und andere Banalitäten, und auch Hitler und Goebbels und Co. kamen vor. Außerdem besannen sich die meisten jugoslawischen Literaturzeitschriften gerade auf das nationale Erbe und entdeckten Schriftsteller, deren Lyrik
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