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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Heamon
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Anrufer sagte: » Du Lügner! Du weißt überhaupt nichts von Kauders! Ich weiß viel mehr – und jetzt erzähl ich dir mal, wie es wirklich war! « In diesem Moment wurde Kauders real – er war meine Jungfrau Maria, die im Aufnahmestudio erschien, hinter dessen Trennscheibe ein gleichgültiger Toningenieur und ein paar Leute saßen, in deren Augen eine erwartungsvolle Spannung funkelte. Es war eine wunderbare Situation, als die Fantasie die Wirklichkeit durcheinanderwarf und überrannte, fast wie der Moment, als sich Frankensteins Monster vom OP -Tisch erhob und seinem Schöpfer an die Gurgel ging.
    Noch Jahre später wurde ich gefragt, ob Kauders wirklich existiert habe. Manchmal sagte ich ja, manchmal nein. Aber niemand weiß es wirklich genau, denn er existierte für den Bruchteil einer Sekunde, wie die Protonen im Teilchenbeschleuniger bei Genf, aber nicht lange genug, als dass seine Existenz tatsächlich dokumentiert worden wäre. Der Moment seiner Existenz war zu kurz, als dass man hätte sagen können, ob er eine Fata Morgana war, eine Folge, die sich aus dem Erreichen der kritischen Masse kollektiver Illusionen ergab. Vielleicht war er mir erschienen, um mir klarzumachen, dass mich seine negative Aura unwiderruflich verstrahlt hatte.
    Ich weiß nicht, wo Alfons Kauders heute lebt. Vielleicht ist er ein Strippenzieher von Fakten und Fiktionen, von Wahrheit und Lüge, derjenige, der mich Geschichten schreiben lässt, die ersonnen und erfunden zu haben ich mir dummerweise einbilde. Vielleicht werde ich irgendwann einen Brief von A. K. (so unterschrieb er immer) bekommen, in dem er schreibt, dass die Farce zu Ende und der Tag der Abrechnung gekommen ist.

Leben im Krieg
    Im Februar 1991 bot mir die Redaktion der Zeitschrift Naši dani (Unsere Tage) einen Job an. Ich beschloss sofort, mir eine eigene Wohnung zu suchen, denn als Siebenundzwanzigjähriger wohnte ich peinlicherweise noch immer bei den Eltern. Gemeinsam mit zwei Freunden, Davor und Pedja, die ebenfalls bei der Zeitschrift arbeiteten, bezog ich eine Dreizimmerwohnung im Stadtteil Kovaći. Ich hatte einen richtigen Job und meine eigene Bude – keine Kleinigkeit in einer sozialistischen Gesellschaft, wo die Leute noch als Erwachsene bei den Eltern wohnen und ewig unterbeschäftigt sind.
    Meine Berufserfahrungen beschränkten sich auf das Radio, für das ich, abgesehen von eigenwilligen Kurzgeschichten, arrogante Stücke über Filme, Literatur und andere Themen geschrieben hatte. Also wurde ich Kulturredakteur, zuständig für dreizehn Seiten Kultur (was immer man darunter verstand) von insgesamt achtundvierzig Seiten Umfang. Überzeugt, dass die vorangegangene Journalistengeneration von der Idiotie eines bequemen Kommunismus geprägt war, weigerte ich mich, Beiträge von Leuten zu bringen, die älter als siebenundzwanzig waren, weshalb ich mich oft gegen die anderen Redakteure zur Wehr setzen musste, die manchen Presseveteranen mit Nachsicht begegneten. Ich schrieb auch kurze, bitterböse Stücke für die satirische Seite und eine Kolumne mit dem Titel » Sarajevo Republika « , die nach meinem Verständnis » militant urban « sein sollte. Ich war besoffen von meiner jugendlichen Radikalität und Unbekümmertheit.
    Auch die übrigen Redaktionsmitglieder kamen vom Radio. Wir verachteten das alte sozialistische Regime und den fanatischen Nationalismus, mit dem die traurigen Reste des kommunistischen Jugoslawien abgeschafft wurden. Die Zeitschrift gehörte der Liberalen Partei, die aus dem vormaligen Sozialistischen Jugendverband hervorgegangen war. (Ich schrieb als Auftragsarbeit den Kulturteil des Parteiprogramms.) Wir wurden eingestellt, nachdem die gesamte Vorgängerredaktion aus mir nicht mehr erinnerlichen Gründen entlassen worden war. Vielleicht wollten die Herausgeber einen radikalen Bruch vollziehen, nachdem Naši dani sich in den vierzig Jahren ihres Bestehens weitgehend durch politische Folgsamkeit ausgezeichnet hatte.
    Wir mussten rasch lernen, wie man eine Zeitschrift macht, die bei vierzehntäglichem Erscheinen trotzdem aktuell ist. Doch schon bald bekamen wir unsere Chance. Eine der ersten Nummern widmete sich den Demonstrationen in Belgrad, die Machthaber Milošević blutig niederschlagen ließ. Zwei Studenten kamen bei dem Einsatz der Armee ums Leben. Wir wussten, dass es nicht dabei bleiben würde. Im Frühjahr war der Krieg in Kroatien bereits in vollem Gang. Es gab Berichte von Massakern, wir veröffentlichten Fotos von

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